Das blaue Siegel
wie ein solches Monster zerbrach, in zwei schwimmende Inseln, größer als der Trafalgar Square und höher als die Kathedrale von St. Paul’s, die dennoch dabei in der schäumenden See hüpften und schwankten wie ein Korken auf einem Fischteich. Ein solches Gebilde hätte mit einer einzigen Drehung das Flaggschiff der Admiralität versenken oder aus dem Wasser heben können.
Und ohne abergläubisch zu sein, wusste er, dass er niemanden mehr retten würde. Nicht Crozier, nicht den ewig lächelnden Fitzjames, Ire wie er selbst. Nicht Graham Gore, den er immer noch als Fähnrich vor sich sah, nicht Harry Goodsir, den Arzt, und auch nicht den freundlichen, rätselhaften Alten selbst, Sir John Franklin, der seine Bewerbung persönlich abgelehnt hatte. McClure hatte alles versucht, um auf diese Schiffe zu kommen. Er wäre als Erster, als Zweiter Offizier, weiß Gott, er wäre als Maat mitgefahren! Aber Franklin und Back waren auf eine seltsame, stille Weise verfeindet, und wer mit Back gesegelt war, durfte auf Franklin nicht hoffen.
Warum war er schon wieder aufgebrochen, keine vier Monate nach seiner Rückkehr von der ersten Suchexpedition und aus dem sinnlosen, zweijährigen Eisgefängnis auf Leopold Island? 2 Was hoffte er zu finden? Leichen? Gräber? Wracks? Er kannte das Polargebiet gut genug und wusste, dass es dergleichen praktisch nicht gab; das erbarmungslose Eis verschluckte, was in ihm unterging.
Was war es dann?
An einem der Tage, die seinem Traum folgten, wurde es McClure schlagartig klar. Dieser Albtraum war der Albtraum seiner Zeit, und er hieß: Ungewissheit. Die Vorstellung, dass die größte, stärkste, am besten ausgerüstete Expedition, die Englands Küste je verlassen hatte, dass hundertdreißig Männer und zwei Schiffe spurlos verschwinden konnten und spurlos verschwunden blieben, war unerträglich. Man wollte wissen, wollte wenigstens raten können, was geschehen war. McClure suchte die Gewissheit, die schon eine halb verkohlte Planke der Terror ihm und England gegeben hätte – ein Brand, aha!
Denn nichts zu wissen, das hieß auch, nichts tun zu können. Es hieß: Was geschehen war, konnte wieder geschehen, schicksalhaft, unentrinnbar. Nicht wissen, das hieß: Ergebung! Und nicht einmal Gott hätte Robert John Le Mesurier McClure sich kampflos ergeben.
15.
Man hatte die abenteuerlichsten Vorschläge gemacht, um Franklin zu finden. Hellseher ließen ihre Pendel über den Karten der Polargebiete kreisen, in spiritistischen Sitzungen hatte man die unterschiedlichsten Geister befragt, die immer nach Norden wiesen, aber manchmal auch stumm ihre Blicke senkten, auf die Oberfläche einer schweigenden, schwarzen See. Ein bekanntes Medium gab an, Franklins Männer gesehen zu haben: eine lange Reihe schwankender, stolpernder Gestalten in einem endlos flachen, mit Geröll bedeckten Land. Andere nahmen an, dass Franklin einen Weg ins eisfreie Polarmeer gefunden habe, der sich allerdings hinter ihm wieder geschlossen hätte, sodass er nun schon seit fünf Jahren rund um den Nordpol fahre, immer auf der Suche nach einem Durchschlupf.
Admiral Edward Belcher hatte den kuriosen Vorschlag gemacht, Polarfüchse lebend zu fangen und wieder laufen zu lassen; mit kleinen Blechbüchsen am Hals, in denen etwaige Überlebende der Franklin-Expedition die Positionen der Rettungsschiffe finden sollten. Belcher wollte zu diesem Zweck auch Tausende kleine Ballons über der Arktis aufsteigen lassen, mal bei Ost-, mal bei Südwind. Am absonderlichsten aber war seine Idee, Strafgefangene auf die Suche nach Franklin zu schicken, da diese Menschen im Aufspüren auch kleinster Fluchtmöglichkeiten am findigsten seien.
Aus Sträflingen bestand die Mannschaft der Investigator wohl nicht; aber Johann August Miertsching, der Missionar, hatte bisweilen das Gefühl, unter Wilde geraten zu sein. Sie tanzten, sie tranken, sie schlugen sich, und als das Schiff den Äquator passierte, zogen sich manche splitternackt aus und taten so obszöne Dinge, dass er in seine Kabine flüchtete, um den Herrn um Vergebung dieser Sünden zu bitten. Immer wieder musste selbst der Kapitän seiner traurigen Pflicht genügen und diese armseligen Kreaturen auspeitschen lassen. Ganz allein und der Sprache seiner Umgebung noch immer nicht mächtig, auf einem Schiff voller wüster Gesellen, hatte selten ein Mann eine so einsame Reise gemacht wie der kleine Herrnhuter Missionar.
Der Kapitän sprach ihn manchmal mit »Myn Heer!« auf Holländisch
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