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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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seine Verkleidung rettete Gowers das Leben. Denn der Mörder zögerte stirnrunzelnd für eine, fast zwei Sekunden, und das gab dem Investigator die Zeit, die Hand mit der Klinge zu packen und gleichzeitig einen schwungvollen Kopfstoß gegen Gesicht und Nase des Mannes zu führen. Dabei rutschte ihm die schwere Perücke vom Kopf, fiel in den Fluss und trieb auf dem Wasser wie eine tote Ratte.
    Bei jedem anderen hätte dieser Stoß wahrscheinlich gereicht, aber Jaysingh von Mirzapur war nicht jeder andere. Noch während des Sekundenbruchteils, in dem sein Kopf nach hinten geschleudert wurde, ließ er sich seitwärts ins Wasser fallen und riss seinen seltsamen Gegner mit sich. Instinktiv löste Gowers unter Wasser seinen Griff, denn zum Atemholen war er zu überrumpelt gewesen, und er brauchte Luft. Aber fast im gleichen Moment, in dem er an die Oberfläche kam und seine Lunge noch mit sich selbst beschäftigt war, sah er die seltsame, sichelförmige Blasenbahn einer raschen Bewegung im Wasser und fühlte einen scharfen Schmerz quer über seine Brust. Der Mörder befand sich unter ihm; sonst wäre es wohl sein Hals gewesen.
    Gowers stürzte sich auf die Hand mit dem Messer, hielt sie fest und versuchte, tief Luft zu holen, um nun seinerseits den anderen unter Wasser zu ziehen respektive ihn dort zu halten. Dabei fühlte er plötzlich einen harten Griff an seinen Genitalien. Mit einem durchdringenden Schrei verfluchte er alle Digambaras , Asketen, den Hinduismus und ganz Indien und stieß seinem Gegner den Ellbogen ins Gesicht, so hart er konnte. Aber der Mann war glitschig wie eine Schlange, und der Schlag rutschte ab, ohne Wirkung zu zeigen. Im nächsten Moment versanken beide in den Fluten der Heiligen Ganga, denn zu Schwimmbewegungen war keiner von ihnen mehr in der Lage.
    Unter Wasser spürte Gowers als Erstes die träge, aber starke Strömung des Flusses und die tödliche Umklammerung seines Feindes, ließ aber diesmal die Hand mit dem Messer – oder was immer es war – nicht los. Er bekam sehr rasch Luftnot, denn der Schrei hatte ihn einen Großteil seines Atems gekostet. Er konnte nur hoffen, dass es dem anderen ebenso ging, fuhr fort, sich zu winden und um seine eigene Achse zu drehen, um ihn abzuschütteln, bemerkte aber mit wachsendem Entsetzen, dass dieser Mann zu stark für ihn war.
    Mit aller Gewalt unterdrückte er den Impuls, nach Luft zu schnappen, denn wenn jetzt Wasser in seine Lunge geriete, wäre die Panikreaktion seines Körpers das Letzte, was er aus diesem Leben mitnehmen würde. In diesem Augenblick spürte er Schlamm unter seinen Füßen, bis weit über die Knöchel sank er darin ein und konnte endlich einen festen Stand fassen. Er konzentrierte sich ganz auf die Hand mit dem Messer, versuchte, sie zu öffnen, und fasste dabei in die erschreckend scharfe Klinge.
    Das Ansteigen des Kohlensäuregehalts in seinem Blut signalisierte ihm immer verzweifelter, dass das Ende bevorstand. Da wandte er, dessen Entscheidungen in den letzten achtzig, hundert Sekunden immer falsch gewesen waren, seinen letzten Kniff an und verlangsamte seine Bewegungen, erschlaffte, sackte auf den Grund des Flusses, um seinen unerbittlichen Gegner glauben zu machen, dass er sein Ziel fast erreicht hätte. Er fühlte, wie der Schlamm in der Grundströmung an seinen Knien, seinen Schenkeln entlangglitt – aber auch, dass die Hand mit der Klinge seinem Hals näher kam.
    Da spannte Gowers noch einmal alle Muskeln an und stieß seinen Kopf nicht nach oben , wo Licht und Luft warteten, sondern führte ihn rasch zum Unterarm des Mannes, durchbiss die große Sehne des Daumens und hielt im nächsten Moment das Messer in seiner eigenen, blutenden Hand. Trotz der Schmerzen, die diese Berührung auslöste, führte er nun seinerseits einen schnellen Schlag gegen den Mörder. Er traf auf Widerstand, härter als Fleisch und Muskeln ihn bieten konnten; er musste den Schädel des Mannes getroffen haben.
    Aber all das war nun gleichgültig; der Investigator war im gleichen Moment frei und stieß sich mit den Füßen im Flussbett ab, durchbrach die Oberfläche und rang keuchend nach Luft. Der Sauerstoff schien in seiner Lunge zu explodieren, und ihm wurde sekundenlang schwarz vor Augen. Blind schlug er mit dem Messer um sich, aber der erneute Angriff, den er erwartet hatte, blieb aus. Mit letzter Kraft schwamm Gowers zum Steg, blickte aber hustend und spuckend immer wieder zurück. Wo war sein Feind geblieben?
    Jaysingh tauchte im Schutz

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