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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Woche, manchmal sogar vier Wochen, ohne etwas anderes zu finden als öde, unfruchtbare Länder und unschiffbare Passagen. Wenn man Glück hatte, kartografierte man unter unsäglichen Mühen und selbst gebastelte Schlitten durch knietiefen, eisigen Schlamm zerrend ein paar Kilometer Küstenlinie, die vermutlich nie wieder jemand betreten würde.
    Nie zuvor hatten so viele Menschen so große Anstrengungen unternommen, um so wenig zu erreichen. Schneemänner und Kinderfestlustbarkeiten ließen sie schließlich am eigenen Heroismus zweifeln, und bald würde man sich wohl auch in England fragen, welchen Zweck es eigentlich hatte, unter immensen Kosten und Risiken Menschen in eine Gegend zu schicken, in der ihre einzige Leistung nur darin bestehen konnte, zu überleben.
    Die Telegrafenleitung, die sie zwischen Resolute und Intrepid zogen, erweckte zumindest zeitweise noch die Illusion, dass ihr Ziel die Erforschung der Natur sei: immer dann nämlich, wenn sie sich dreimal täglich die Temperaturen, Windgeschwindigkeiten, Eisdrift und Meerestiefe mitteilten. Leider lagen die Schiffe viel zu dicht beieinander, um aus dem Vergleich dieser bisweilen leicht abweichenden Daten einen anderen Schluss zu ziehen als den, dass ihre Instrumente falsch geeicht waren.
    Also wandte man sich rasch den vergnüglicheren Möglichkeiten des Telegrafen zu, indem diejenigen, die das Spiel der Könige beherrschten, Fernschach von Schiff zu Schiff spielten. Einmal jedoch, mitten in einem Schneesturm, meldete der Telegraf einen Skandal an Bord der Intrepid , und Commander McClintock, der dortige Kapitän, ließ Commander McClure fragen, was er von einem Matrosen namens John Gowers wisse.
     

123.
     
    Seine Hand würde ihm noch viel Ärger machen. Obwohl er alle Finger bewegen konnte, hatte er doch bei dreien den Knochen gesehen, und es würde lange dauern, bis er seine Rechte wieder problemlos gebrauchen konnte. Die Waffe, die das angerichtet hatte, lag vor ihm: ein seltsames, wohl vom Mörder selbst hergestelltes Gerät von allerdings erschreckender Wirksamkeit.
    »Ziemlich eindrucksvoller Mordversuch«, hatte Gowers auf dem Steg noch gemurmelt, bevor er in Ohnmacht fiel. Nie wieder nackt und nie wieder ohne Waffen, schwor er sich, als er das Bewusstsein schließlich wiedererlangte und sich unter dem Namen John Gowers Esquire, Earl of Tyne, in das beste Hotel von Benares, den Star of India, bringen ließ. Hier wurde er von Ishrat und seinen sechs Sepoys bewacht, denn er wollte tatsächlich nie wieder dem unheimlichen Menschen begegnen, der ihn um ein Haar im heiligen Fluss ersäuft hätte – Seligkeit hin oder her!
    Glücklicherweise war er jetzt in der Lage, seine Ermittlungen zumindest ein oder zwei Tage vom Bett aus zu betreiben, um seinen Wunden, vor allem dem ungefährlichen, aber schmerzhaften Schnitt quer über seine Brust, der ihn bei nahezu jeder Bewegung behinderte, ein wenig Zeit zum Heilen zu geben. Sicher, die vier überlebenden Mörder hatten nicht mehr als ihre Personalien angegeben, und der Selbstmord der unglücklichen jungen Frau verriet ihm, dass sie auch kaum je mehr sagen würden – aber mit Namen, Beruf und Wohnung ließ sich ja schon einiges anfangen.
    Es musste Gemeinsamkeiten zwischen ihnen geben, den drei Lohndienern aus Patna, dem Kansamah und der Aja aus Benares; da die Tätowierung bei allen verblasst, also schon vor Ende der Wachstumsphase angebracht worden war, mussten diese Gemeinsamkeiten in ihrer Jugend liegen. Das ließe sich vielleicht mit einigen Telegrammen herausfinden. Der Telegraf würde die verwünschten Tauben endlich schlagen, die er, wenn er sie durch das Fenster draußen über der Stadt herumfliegen sah, am liebsten sämtlich vom Himmel geschossen hätte!
    Mukhopadhyaya hatte jetzt alle Hände voll zu tun, da er der Einzige war, dem der Investigator seine Telegramme anvertraute. Anfragen von John Gowers Esquire, Earl of Tyne, an die offiziellen Arbeitgeber der Mörder, also etwa an die Familie Barrington. Wie lange Khurram und Jemdanee bei ihnen beschäftigt gewesen seien, woher sie kämen, wer sie vermittelt habe? Die gleichen Fragen trug der dreihundert Kilometer lange Draht auch nach Patna, nur über den sechsten, den beinahe erfolgreichen Mörder konnte Gowers lediglich Spekulationen anstellen. Die wiesen ihn allerdings als etwas Besonderes aus, denn offenbar war er, auch verglichen mit seinen unbekannten Kollegen aus Delhi und Kanpur, der Einzige, der sein Handwerk – beinahe zu gut –

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