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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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gegeben hatte, sich ihrer tödlichen Diener nach verrichteter Arbeit zu entledigen und so alle Spuren zu verwischen. Darum waren sie alle tot, die Mörder der Prinzessinnen, nachdem sie den Samen ihrer Treue, Schläue, Kraft und Geschicklichkeit weitergegeben hatten – alle tot, bis auf ihn.
    Er schrieb an seine Mutter, dass er ihre Geschichte und ihre Absichten schriftlich niedergelegt hätte und dass sie bei seinem Tod den Engländern übergeben würden; seitdem lebte er unbehelligt in Mirzapur, ein ruhiges Leben, als Handwerker, Drechsler, der nur gelegentlich mithilfe der Tauben Nachrichten aus dem blauen Haus weitergab. Es machte ihm viel Freude, toten Dingen neue Formen zu geben, und er strebte nicht nach Reichtum. Jaysingh war sich seines Wertes bewusst und ließ sich durch keine Wünsche und törichten Hoffnungen in diesem Wissen beirren – bis er hörte, dass der Prinz Mirza Innuzzar Baht noch am Leben war. Dieser billige Betrug nahm seinen geheimen Taten den Glanz der Perfektion und machte ihn unbändig wütend.
    Jaysingh wurde wieder die Schlange, der starke, schleichende Mörder, lag im Wasser auf der Lauer und nahm nichts wahr außer dem Fluss im Norden und seinem eigenen tödlichen Zorn.
     
    Die Boote kamen gegen elf Uhr am vierten Tag in Sicht, am roten Wimpel der Fürsten von Oudh leicht erkennbar. Sie hielten auf den längsten der nördlichen Stege zu, der vom Panchganga-Ghat etwa dreißig Meter in den Fluss ragte. Das vorausfahrende Boot mit den Soldaten versuchte, diesen Steg zu umrunden und von Süden her anzulegen. Es war deshalb noch mitten im Fluss, als das zweite Boot, mit Ishrat und Mukhopadhyaya und den Dienerinnen der Königin, bereits festgemacht hatte.
    Gowers hatte noch beobachtet, wie der Mann im Fluss, der so lange reglos verharrt hatte, plötzlich untergetaucht war, aber er sah ihn nicht wieder hochkommen. Eine Minute, zwei; er erweiterte den Radius seiner Suche, bemerkte dabei aber zu seinem Entsetzen, dass er die Strömung nicht einkalkuliert hatte. Praktisch im gleichen Moment setzte er sich in Bewegung.
     

120.
     
    Die gründliche medizinische Untersuchung der Mannschaft und der Offiziere der Investigator dauerte vierundzwanzig Stunden und war in ihrem Ergebnis eindeutig: Jeder »gesunde« Mann an Bord hatte Skorbut, wenn auch in unterschiedlichen Graden. Alle Männer waren bis zur Entkräftung abgemagert, einige hatten sogar ein Drittel ihres ursprünglichen Körpergewichts verloren, und der schriftliche Bericht Dr. Domvilles konnte nur lauten, dass ein weiterer Winter im arktischen Dienst für diese Männer die schwerwiegendsten gesundheitlichen Konsequenzen nach sich ziehen würde. Damit waren sie praktisch aus ihrer Dienstpflicht entlassen, aber McClure wäre nicht McClure gewesen, wenn er nicht noch einen allerletzten Trick versucht hätte.
    Beim Morgenappell nach der großen Musterung stellte er den Männern noch einmal vor Augen, dass auf die Durchsegelung der Nordwestpassage ein Preisgeld ausgesetzt sei, das jedem von ihnen ein gutes Startkapital für ein sorgenfreies Leben verschaffen würde; dass sie mit der bloßen Entdeckung dieser Passage aber noch gar nichts erreicht hätten. Nun hätte die Untersuchung ergeben, dass sie aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht mehr verpflichtet seien, auf dem immer noch guten Schiff zu segeln. Wer denn freiwillig an Bord bleiben und gemeinsam mit seinem Kapitän versuchen würde, in diesem oder im nächsten Sommer dem Eis zu entkommen und das Preisgeld zu kassieren? Je weniger, desto besser!
    Die Ansprache sollte feurig wirken. Er hatte auf glänzende Augen, Mannesmut, grimmige Entschlossenheit, Heinrich V. gesetzt – aber gerade als er die entsprechende Stelle zitieren wollte, sackte der Maat Sainsbury, einer der schwächsten Männer an Bord, ohnmächtig zusammen und musste unter Deck getragen werden. Dr. Domville, der den Kranken nach unten begleitete, schüttelte nur verständnislos den Kopf und schrieb später den schönen Aphorismus »Pathos verträgt keine niedrigen Temperaturen« in sein Tagebuch. Oben traten inzwischen nur vier Freiwillige vor, unter ihnen John Gowers, und das war eine definitiv zu kleine Schar von Brüdern , um ein Schiff von dreihundertfünfzig Tonnen zu segeln.
    Die Reise der Investigator war damit zu Ende. McClure würde von nun an kein Kapitän, würde nur noch Passagier an Bord eines der anderen Schiffe sein. Rachsüchtig beschloss er, den schriftlichen Befehl Kelletts, demzufolge beim

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