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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Hölle!?«
    Ein kurzes, verblüfftes Schweigen folgte seiner Äußerung. Dann begannen die Männer lauthals zu lachen, so sehr entsprach dieser Ausbruch ihrer aller Empfindungen. Sie wussten nun immerhin, dass die geheimnisvollen nächtlichen Feuer natürlichen Ursprungs waren. Vulkanisch nannten sie es, aber keiner unter ihnen verfügte über genügend geologische oder chemische Kenntnisse, um die Erscheinung wirklich erklären zu können. Nur von Franklin stammten sie mit Sicherheit nicht, und als just in diesem Moment wieder Raketen vom Schiff aufstiegen und die Kanone losdonnerte, wünschte Creswell sich Signalflaggen oder ein riesiges Megafon, um diese idiotische Schießerei zu beenden.

36.
     
    Gowers grinste bei dem Gedanken, dass das einem kleinen englischen Foxterrier nie passiert wäre: Beim Rennen, in gerader Linie und so schnell wie möglich dem toten Gebäudekomplex und der Stelle zu, an der er den Aufstieg versuchen wollte, war er einem friedlich vor sich hin schnarchenden Wachhund auf den Schwanz getreten. Das Tier war jaulend hochgeschossen und hatte instinktiv nach ihm geschnappt, war aber dann schlaftrunken einige Sekunden stehen geblieben, um sich zunächst einmal über seine Gefühle klar zu werden. Erst als ihm seine Nase verriet, dass es kein nächtlicher Hundealbtraum geweckt hatte, sondern dass irgendetwas Lebendiges auf dem Hof war, hatte es sich erschreckend schnell in Bewegung gesetzt. In allen Winkeln sprangen daraufhin riesige Tiere hoch und versicherten einander knurrend, dass etwas los sei, liefen aufgeregt schnüffelnd hierhin und dorthin und schließlich dem einzig erfolgversprechenden Ziel nach – ihrem eben noch so verschlafenen Genossen, der Gowers nun hart auf den Fersen war.
    Tatsächlich waren die Hunde schneller, als er erwartet hatte, und der Investigator überlegte bereits, ob er Ishrats Schwert ziehen und sein Leben so teuer wie möglich verkaufen müsste, als er das Gebäude erreichte, das er sich am Nachmittag durch das Fernrohr ausgesucht hatte. Er stemmte sich hoch in eine der leeren Fensterhöhlen und hörte den dumpfen Aufprall des Hundes an der Hauswand. Noch konnten die Bestien ihn springend erreichen, aber ehe sie sich gesammelt und einen entsprechenden Plan gemacht hatten, zog er sich auf das etwa zweieinhalb Meter hohe Dach. Ein Sturz wäre jetzt sehr unschön gewesen. Oben angekommen, stellte er fest, dass er sich lediglich den Handrücken ein wenig aufgerissen hatte. Er leckte das Blut ab und riskierte einen Blick zurück und nach unten, wo die großen Hunde sich noch eine Weile untereinander bissen oder beschimpften.
    Danach schlich er vorsichtig das schräg aufwärtsführende Dach hinauf, bis er die Terrasse eines höhergelegenen Gebäudes erreichte. Es dauerte lange, denn Gowers musste nun immer den statisch sichersten Weg wählen und insbesondere die jähen Löcher und Durchbrüche vermeiden, die sich hier und da auftaten. Er war froh, als er endlich auf eine Treppe und anschließend in einen Gang kam, der in die Richtung führte, in die er wollte. Sein Plan war, so gerade wie möglich Richtung Norden zu gehen, denn dabei müsste er zwangsläufig irgendwann einen Punkt passieren, einen Hof, ein Tor, das oder den er wiedererkennen würde. Hin und wieder schloss er jetzt die Augen, um die Erinnerungen abzurufen und mit der Gegenwart zu vergleichen. Dabei bemerkte er, dass noch immer keine Ratten zu hören waren, und das hieß, dass er den Einflussbereich der Hunde noch nicht verlassen hatte. Schneller als erwartet, stand er auch wirklich einem gegenüber und tötete das überraschte Tier mit dem Schwert.
    Gowers stutzte. Er wischte die blutige Klinge am Fell des warmen Kadavers ab, dann wusste er, was ihm dabei bekannt vorgekommen war: Es war das Geräusch des Schwertes, das aus der Scheide gezogen wurde. Auch Ishrat hatte das Schwert gezogen, auch sie musste einen Grund dazu gehabt haben, und was konnte dieser Grund gewesen sein, wenn nicht die Nähe der Hunde? Er bog bei der ersten Möglichkeit nach Westen ab, dann nach Norden, nach Osten und schließlich wieder nach Süden. Er ging im Kreis, wobei er den Radius jedes Mal erweiterte. Schließlich roch er es: Asche und frisch geschlagenes Holz. Er durchquerte zwei unverschlossene Gittertüren, die er hinter sich wieder zuzog, und stand dann unter dem freien Himmel, in dem vor einer Woche der Rauch des letzten Erben von Oudh verschwunden war. Noch zwei Dutzend Schritte einen mit Mosaiken verzierten Gang

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