Das blaue Siegel
Tollukok von feindlichen Indianern erschlagen. Jedenfalls erreichte sein letzter Brief unter diesem Datum den Schiffsarzt der Plover zuverlässig vier Monate später.
»Lieber Adams, habe eine scheußliche Wunde im Unterleib; meine Eingeweide hängen heraus. Ich glaube nicht, dass ich noch lange genug lebe, um Sie zu sehen. Die Cu-u-chuk-Indianer griffen an, als wir noch in den Federn lagen. Boskey ist schwer verwundet und Darabin tot; fast vier Dutzend Eskimos, Männern, Frauen und Kindern, geht es nicht besser. Wahrscheinlich wäre meine Verwundung nur eine Kleinigkeit, wenn ich an medizinische Versorgung herankäme. So tut es höllisch weh, also beeilen Sie sich gefälligst herzukommen. Barnard.«
Collinson, der während seiner Dienstzeit in China an diversen Feldzügen teilgenommen hatte, war drauf und dran, eine Strafexpedition gegen die Cu-u-chuks zu führen, als er dieses Schreiben im Sommer in die Hände bekam. Allein die Versicherung der Russen, dass dergleichen häufig vorkäme und die Wilden sich längst wieder weit ins Landesinnere zurückgezogen hätten, sowie die Befehle der britischen Admiralität, Franklin und die Nordwestpassage zu finden, hielten ihn davon ab. Genau ein Jahr nach McClure segelte er also in dessen Kielwasser und machte alle Entdeckungen seines Untergebenen ein zweites Mal: Nelson’s Head, Prince-of-Wales-Straße, Prince-Albert-Land.
Natürlich gab Collinson diesen Orten andere Namen, aber nur, bis er Mitte August 1851 auf den Princess Royal Islands auf ein Depot der Investigator stieß. Die dort niedergelegten Nachrichten McClures reichten bis zum 15. Juni, der verdammte Ire war ihm also jetzt nicht mehr ein Jahr, sondern nur noch acht Wochen voraus. Natürlich unternahm auch die Enterprise einen eigenen Versuch, die Eisbarriere am Ende der Prince-of-Wales-Straße zu durchbrechen, aber genau wie die Investigator fand sie kein Schlupfloch. Und genau wie McClure – wenn auch ohne es zu wissen – beschloss Collinson, es dann eben im Westen von Banks-Land erneut zu versuchen.
Er nahm an, dass die Investigator im Norden durchgekommen war, denn es fand sich keine Spur mehr von ihr, und für eine weitere gute Woche verteilte er mit dem uralten Recht des Entdeckers Namen an Kaps, Küsten und Flussmündungen. Am 3. September fand sich jedoch auf dem südwestlichsten Punkt der Insel, dem Kap Kellett, ein weiteres Depot mit Nachrichten von McClure, die erst am 18. August dort niedergelegt worden waren: zwei Wochen!
Collinson, der die irritierende Angewohnheit hatte, an Deck nicht mit einem Kommandostab, einem Spazierstock oder einer Reitpeitsche, sondern mit einem Billard-Queue herumzulaufen und seine Untergebenen damit gelegentlich in Bauch, Rücken oder andere geeignete Körperteile zu piken, fluchte fürchterlich und überlegte fieberhaft, was das für ihn und seine Mission bedeutete. Die Investigator hatte die Durchfahrt durch die Prince-of-Wales-Straße nicht geschafft, aber die Hartnäckigkeit, mit der es McClure dann eben woanders versuchte, ließ ihn vermuten, dass – falls es dort eine Durchfahrt gab – der Ire sie auch entdecken würde.
Ihm selbst bliebe dann nur die etwas lächerliche Rolle desjenigen, der die Entdeckungen seines Vorgängers bestätigt: Stimmt! Richtig! Akkurat! Das wären die Worte, die er neben möglichen kleinen Korrekturberechnungen in seinem Journal vor allem benutzen müsste. Gab es hier aber keine Durchfahrt – würde er zwar in ein paar Tagen auf den stecken gebliebenen Iren stoßen und ihn gehörig zur Schnecke machen, aber danach bliebe ihnen nichts anderes übrig, als gemeinsam umzukehren – falls das dann noch möglich war.
Eine andere Option war der gerade Weg nach Osten, durch die von Richardson entdeckten, aber nie befahrenen Gewässer der Dolphin & Union Strait, mitten hinein in den anderen großen weißen Fleck, den es auf den Karten der Admiralität noch gab. Nach einem wütenden Queue-Stoß Richtung Norden, wo das Packeis sich hinter der Investigator bereits wieder geschlossen hatte, gab Collinson die entsprechenden Ruderbefehle.
88.
Der Investigator überlegte immer häufiger, wie lange wohl Mukhopadhyaya auf der Reise nach Lakhnau die Maskerade aufrechterhalten konnte, die sie abgesprochen hatten: so zu tun, als reise der Amerikaner noch immer im Tross der Königin. Aus diesem Gedanken ergab sich wieder einmal die Frage, auf die er noch keine Antwort gefunden hatte: Wie hatte die böse Absicht von ihm erfahren? An
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