Das blaue Zimmer
tun. Mir ist es zu an strengend, selbst zu fahren, deshalb dachte ich, ich nehme den Zug.“
„Wir holen dich ab“, versprach Mama. „Laß uns wissen, an welchem Tag du kommst, dann holt dich jemand ab.“
Inzwischen waren wir alle mehr oder weniger erwachsen. David studierte Medizin, und Paul hatte einen Job bei der Lokalzeitung. Ich hatte einen Platz in der Guildhall-Musikschule er gattert, und Barney war kein kleiner Junge mehr, sondern ein schlaksiger Teenager mit unersättlichem Appetit. Dennoch rotteten wir uns in den Ferien noch immer zusammen, und in diesem Jahr überließ auch Godfrey seine kranken Hunde und siechen Kühe der Obhut seines Partners und kam wieder ein mal nach Carwheal.
Es war herrliches Wetter – fast so warm wie im Sommer. Die Art von Wetter, bei der man sich wieder jung fühlt – wie ein Kind. Auf dem Golfplatz duftete der Thymian, und an den Wanderwegen auf den Klippen wucherten Schlüsselblumen und wilde Veilchen. Im Garten der Roystons sprossen die Narzissen im hohen Gras unter dem Baumhaus, und Mrs. Royston fegte die Spinnweben aus der Laube, spannte das Tennisnetz, und wir spielten fast jeden Nachmittag.
Bei einer dieser Gelegenheiten sprachen Godfrey und ich über Lalla. Wir saßen gemeinsam in der Laube, während die anderen sich ein Match lieferten. Seit jenem unseligen Abend bei den Menheniots hatte ich ihn kaum gesehen, und ich war erleichtert, als er ihren Namen erwähnte.
„Erzähl mir von Lalla.“
„Sie ist verlobt.“
„Das weiß ich. Ich hab’s in der Zeitung gelesen.“ Dazu fiel mir nichts mehr ein. „Magst du ihn, ich meine Allan Sutton?“
Ich sagte: „Ja“, aber ich konnte noch nie besonders gut lü gen. Godfrey wandte den Kopf um und schaute mich an. Er trug alte Jeans und ein weißes Hemd, und ich fand, daß er auf angenehme Weise älter geworden war, selbstsicherer und da durch attraktiver. „Ich glaube…“, fuhr ich fort, „ich glaube, er verkörpert genau das Leben, das sie führen wollte. Eigent lich das Leben, das wir gehabt hätten, wenn Vater nicht gestor ben wäre. Sie hat London immer geliebt. Sie wollte dort nie weg. Carwheal war für sie nie dasselbe wie für Barney und mich.“
„An dem Abend bei den Menheniots“, erzählte Godfrey, „da wollte ich sie bitten, mich zu heiraten.“
„Oh, Godfrey… “
„Ich war zwar mit meiner Ausbildung noch nicht fertig, aber ich habe mir vorgestellt, irgendwie würden wir es schon schaffen. Und als ich sie dann sah, wußte ich, daß ich sie verlo ren hatte. Ich habe zu lange gewartet.“
„Dabei warst du es, der uns damals, als wir hierhergezogen sind, das Leben erleichtert hat. Du hast alles ins Rollen ge bracht.“
„Ich wollte nicht, daß sie mich aus falschverstandener Dankbarkeit nimmt. Ich wollte sie, weil ich geglaubt habe, ich könnte sie glücklich machen.“
„Liebst du sie noch immer?“
Eine schreckliche Frage, und noch dazu eine, die zu stellen ich kein Recht hatte, doch genau in diesem Moment schlug je mand einen Ball ins Aus, und Godfrey ging hinaus und warf ihn wieder ins Spielfeld. Als er zurückkam, sprachen wir dann von etwas anderem.
An dem Tag, an dem Lalla eintreffen sollte, nahm ich Mamas altes Auto und machte ein paar Einkäufe in der Nachbarstadt. Als es Zeit wurde, nach Hause zu fahren, sprang der Motor nicht mehr an. Ich quälte mich eine Weile vergebens mit ihm herum, dann lief ich zu Fuß in die nächste Werkstatt und über redete einen freundlichen, ölverschmierten Mann, mitzukom men und mir zu helfen. Aber er erklärte mir, es sei hoffnungslos. Das Auto konnte man nur noch abschleppen, und der Mo tor war in so üblem Zustand, daß er ausgebaut werden mußte.
„Aber ich muß nach Hause. Ich muß meine Schwester von der Bahn abholen.“
„Mit dem Wagen bestimmt nicht.“
Wir gingen zur Werkstatt zurück, und ich rief zu Hause an.
Aber es war nicht Mama, die sich meldete, sondern Godfrey. „Was machst denn du da?“
„Ich habe Barney gerade nach Hause gebracht. Wir waren in Newquay drüben und haben den Surfern zugeschaut.“
„Wo ist Mama?“
„Im Garten.“
„Richt ihr bitte aus, daß das Auto seinen Geist aufgegeben hat. Ich fahre mit dem Bus heim, aber Lallas Zug kommt in un gefähr einer halben Stunde an, und wir haben ihr versprochen, daß sie jemand abholt.“
Kurzes Zögern, dann sagte Godfrey: „Ich fahre hin. Ich nehme meinen Wagen.“
Es klang sehr sachlich, doch ich fragte ihn unsicher: „Macht es dir wirklich
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