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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Dann lächelte er und stellte sein Glas ab. „Wie hätte ich sie ver gessen können? Komm, gehen wir tanzen.“
     
     
    Ich sah sie den ganzen Abend kaum wieder. Er entführte sie mir, und ich fühlte mich so verwaist, als hätte ich meine Schwe ster für immer verloren. Es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn ich älter gewesen wäre oder irgendwen gekannt hätte. Ein paarmal erbarmte sich jemand meiner und forderte mich zum Tanzen auf, aber es gab lange Pausen zwischen den einzel nen Tänzen, in denen ich allein herumsitzen mußte oder mich in die Toilette verzog oder auf einen Schwatz zu der freund lichen Frau setzte, die für die Garderobe zuständig war und bei Bedarf mit Sicherheitsnadeln aushalf. Einmal kam mir Mrs. Menheniot selbst zu Hilfe und kommandierte einen jungen Mann ab, mich ans Buffet zu führen, nur, danach löste auch er sich in nichts auf. In einem menschenleeren Nebenzimmer fand ich ein Sofa und ließ mich darauf fallen. Es war schon halb eins, ich sehnte mich nach meinem Bett und überlegte, was die Leute wohl sagen würden, wenn ich die Beine hochnahm und ein kleines Nickerchen machte.
    Plötzlich kam jemand herein und zog sich sofort wieder zu rück. Ich blickte hoch und sah ihn nur noch von hinten. „Godfrey“, sagte ich. Er drehte sich um. Ich stand von dem Sofa auf und landete wieder auf meinen schmerzenden Füßen.
    „Jane!“
    „Was tust denn du hier? Lalla hat gesagt, du arbeitest.“
    „Mach ich ja auch. Aber ich wollte unbedingt herkommen. Ich bin von Bristol direkt hierhergefahren. Deshalb bin ich so spät eingetroffen.“ Ich wußte, warum er herkommen wollte. Um Lalla zu treffen. „Ich hätte nicht gedacht, daß du auch hier bist.“
    „Sie hatten zuwenig Mädchen, deshalb haben sie mich auch eingeladen.“
    „Wo ist Lalla ?“
    „Weiß ich nicht.“
    Wir schauten uns bedrückt an, und mir wurde das Herz sehr schwer. Godfreys Smoking erweckte den Eindruck, als hätte er ihn von jemandem geborgt, der größer war als er, und die Fliege saß schief. „Ich glaube, Lalla tanzt.“
    „Komm doch mit und tanz mit mir, dann sehen wir sie viel leicht.“
    Eine widerliche Vorstellung, aber ich wollte es nicht sagen. Also gingen wir gemeinsam in den Ballsaal. Statt der Decken beleuchtung zuckten jetzt rote, grüne und blaue Diskolichter durch die verräucherte Dunkelheit. Die Musik dröhnte und hämmerte, daß uns fast die Ohren platzten, und auf der Tanzfläche herrschte ein unüberschaubares Gewirr von Menschen, von wehenden Haaren und schlenkernden Armen und Beinen. Godfrey und ich tanzten am Rand mit, doch mir war klar, daß er mit den Gedanken woanders war. Ich wünschte, er wäre nicht hergekommen, und betete, daß er Lalla nicht fand.
    Aber natürlich entdeckte er sie, weil es unmöglich war, sie zu übersehen. Ebenso unmöglich war es, Allan Sutton zu überse hen. Sie waren beide so groß, so schön, so blond. Godfrey machte ein finsteres Gesicht. Die harten Lichter spiegelten sich in seiner Brille, so daß ich den Ausdruck in seinen Augen nicht erkennen konnte.
    „Wer ist das, mit dem sie tanzt?“ fragte er.
    „Allan Sutton. Er und seine Schwester kommen aus Lon don. Lalla kennt sie von früher.“
    Mehr konnte ich dazu nicht sagen. Ich konnte Godfrey auch nicht den Rat geben, hinzugehen und sie für sich zu beanspru chen, denn mittlerweile war ich mir nicht einmal mehr sicher, welchen Empfang sie ihm bereiten würde. Während wir die beiden beobachteten, hörte Allan gerade auf zu tanzen, legte seinen Arm um Lalla, zog sie an sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie schob ihre Hand in seine, und sie steuerten die offene Terrassentür an. Im nächsten Augenblick waren sie unseren Blicken entschwunden, von der Dunkelheit des Gartens ver schluckt.
     
     
    Um vier Uhr früh fuhren Lalla und ich schweigend nach Hause. Jetzt kicherten wir nicht. Traurig fragte ich mich, ob ich jemals wieder mit ihr zusammen kichern würde. Mir tat vor Erschöpfung alles weh, und ich konnte sie in diesem Mo ment nicht ausstehen. Godfrey hatte nicht einmal mit ihr ge sprochen. Kurz nach unserem Tanz hatte er sich verabschiedet und war verschwunden. Wahrscheinlich hatte er sich auf die lange, einsame Rückfahrt nach Bristol gemacht. Ich schämte mich für Lalla, und Godfrey tat mir furchtbar leid. Trotzdem konnte ich sie wohl kaum zur Rede stellen. Sie strahlte eine Glückseligkeit aus, die fast mit Händen zu greifen war. Ver stohlen schaute ich zu ihr hinüber und sah ihr zufriedenes,

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