Das Blumenorakel
Stadtverwaltung nicht, ob man sich darüber freuen oder betrübt sein sollte.
Auch viele GroÃe der deutschen Politik blieben in diesem Jahr aus, dafür kamen wenigstens noch die Künstler: Maler, Literaten und Musiker â sogar Johann StrauÃ, der groÃe Walzerkönig, konzertierte in diesem Jahr in der Stadt!
Trotzdem bangten in diesem Sommer alle, die vom Kurbetrieb lebten, mehr oder weniger um ihre Arbeit.
Obwohl er meist nicht vor acht Uhr aus der Trinkhalle kam, hatten es sich Friedrich und Flora angewöhnt, abends so oft wie möglich spazieren zu gehen.
»Sind Sie wirklich nicht zu müde?«, fragte Flora anfangs unsicher. »Ich könnte auch mit Sabine gehen â¦Â«
Doch Friedrich beteuerte stets, es sei ihm ein groÃes Vergnügen.
So begann ein Ritual, das beide bald nicht mehr missen wollten.
Dank Friedrichs Ausführungen lernte Flora die Stadt immer besser kennen. Doch je weiter der Sommer voranschritt, desto seltener setzten sie sich dem Trubel aus. Stattdessen suchten sie die Ruhe der kleinen Parklandschaft hinter der Trinkhalle, wo die Vögel in den Mammutbäumen ihr Abendlied zwitscherten, die Bienen summten und man das Gefühl hatte, weit drauÃen auf dem Land zu sein.
In den Abendstunden strahlte hier alles einen ganz besonderen Zauber aus: Wenn die hölzerne Rückenlehne der Bank die gespeicherte Wärme des Tages zurückgab. Wenn der Duft von auf der Leine vergessener Wäsche aus einem Garten wehte und sich mit dem Parfüm der herausgeputzten Damen mischte, diegemächlich die StraÃen entlangschritten. Wenn Friedrich seinen Arm um Flora legte und ihr den Namen dieses Baumes und jenes Busches erklärte.
Flora hätte auch gern einmal mit Friedrich vor dem Conversationshaus gesessen und ein Glas Wein getrunken. Genauso gern hätte sie öfter mal einem Freiluftkonzert gelauscht. Wie sollten sie mehr über die Kurgäste und deren Wünsche erfahren, wenn sie sich ihnen so selten näherten?
Aber oftmals war Friedrich so müde, dass er die Ruhe dem Trubel vorzog. Was sie ihm nicht verdenken konnte. Auch sie fühlte sich an manchen Abenden ganz zerschlagen. Dabei wusste sie anfangs gar nicht, woher ihre Müdigkeit rührte â es war schlieÃlich nicht so, dass im Blumenladen ständig die Ladenglocke ging. Täglich gab es lange Zeiten, in denen sich kein einziger Kunde zu ihnen verirrte. Es dauerte eine Weile, bis Flora erkannte, dass diese Leerzeiten sie so ermüdeten â ihr wäre es tausendmal lieber gewesen, es wäre zugegangen wie in einem Taubenschlag. Aber bisher hatten weder Friedrich noch sie eine Idee gehabt, wie man die Täublein anlocken sollte.
Von Tag zu Tag wuchs nicht nur die Vertrautheit zwischen ihr und Friedrich, sondern auch ihre Verbundenheit mit der Stadt, sodass sie sich bald recht heimisch fühlte.
Dank des Samenpaketes ihres Vaters konnte sie, was die Blumen anging, inzwischen aus dem Vollen schöpfen: Jetzt, im Hochsommer, stand nicht nur der Garten der Sonnenscheins in voller Blüte, auch der Laden wies dadurch eine bunt gefächerte Blumenfülle auf. Lavendelfarbene Glockenblumen, tieflila Zinnien, Buntnesseln, Petunien â der Gönninger Samen hatte wahrlich gehalten, was die Samenhändler ihren Kunden stets versprachen.
Was hätte sie den Kurgästen damit für wunderschöne SträuÃe binden können! Und Blumenkörbe für ihre Kinder. Und Blumenschmuck für die prachtvollen Kutschen gleich noch dazu.
Aber die Kurgäste und ihre Angestellten gingen noch immerlieber ins Maison Kuttner â ob sie von der Existenz des Blumenladens Sonnenschein überhaupt wussten, bezweifelte Flora sehr.
Eine Hand auf die Brust pressend, wandelte Ernestine durchs Haus. Ihr Herz klopfte so sehr, dass sie glaubte, es würde ihr im nächsten Moment aus der Brust springen.
Heute war der groÃe Tag. In spätestens einer Stunde würden sie eintreffen. Eine nach der anderen.
Himmel â worauf hatte sie sich da nur eingelassen! Hatte sie nicht schon genug zu tun? Dass es ihre eigene Idee gewesen war, wieder einmal ein Kaffeekränzchen zu geben, konnte sie sich überhaupt nicht mehr vorstellen.
Gretel, Luise und die anderen Frauen freuten sich sehr darauf â sie hatten ja auch keine Arbeit damit. Seit Tagen, wann immer man sich im Laden der Walbuschs oder auf der StraÃe über den Weg lief,
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