Das Blumenorakel
Sabine, die gespannt lauschend im Türrahmen stand, unauffällig zu.
»Meinen Vater wirst du leider nicht antreffen, er und Onkel Valentin sind schon vor ein paar Tagen zu ihrer Handelsreise nach Böhmen aufgebrochen, sie kommen erst kurz vor Weihnachten nach Hause.«
Friedrich küsste zuerst Floras Hand, dann die seiner Mutter, was beide verlegen auflachen lieÃ.
»Dann schreiben wir ihm halt einen Brief! Deine Mutter wird bestimmt eine Adresse wissen«, sagte er voller Elan.
»Aber ⦠aber â¦Â« Nervös schaute Kuno Sonnenschein erst seinen Sohn, dann Flora an. »Was ist denn nun mit Floras Reutlinger Lehrherren? Was wird er tun, wenn sie nicht wie geplant demnächst ihre Stelle antritt?«
Flora und Friedrich kicherten wie zwei Schulkinder. Die erfundene Reutlinger Lehrstelle hatten sie glatt vergessen!
Je näher der Zug ihrem Heimatdorf kam, desto unruhiger wurde Flora. Was würde die Mutter sagen? Würde sie das Gefühl haben, von Flora im Stich gelassen zu werden? Würde sie gar glauben, dass alles von Anfang an so geplant gewesen war?
»Mutter wird aus allen Wolken fallen â in keinem einzigen Brief habe ich etwas Derartiges auch nur angedeutet«, jammerte sie, während die herbstliche Landschaft an ihnen vorbeizog.
»Wahrscheinlich wird sie glauben, ich hätte ihr monatelang etwas verschwiegen.«
Friedrich drückte ihre Hand und versuchte sie zu beruhigen. Doch so leicht gelang ihm dies nicht.
»Was soll nun bloà mit meiner Arbeit werden â¦Â«
Friedrich runzelte die Stirn. »Ich dachte, du willst deinen Eltern vorschlagen, dass du den Baden-Badener Samenstrich weiterhin betreust? Im Januar gibt es im Blumenladen wenig zu tun, da hättest du genügend Zeit für den Samenhandel. Vielleicht könnten wir sogar ein Regal mit Blumensamen im Laden aufstellen?«
»Schon, aber â¦Â« Floras Gedankenkarussell drehte sich weiter und weiter.
»Du schaust schon fast so sorgenvoll drein wie meine Mutter«, sagte Friedrich.
Flora funkelte ihn an. »Ich hatte ja auch noch nie zuvor in meinem Leben so viele Sorgen!«
Hannah fiel aus allen Wolken. Gemeinsam mit den Zwillingen, Seraphine und Suse saÃen die Frischverlobten um den Esstisch, als Flora mit ihrer groÃen Neuigkeit herausplatzte. Nach einem kurzen Moment der Stille plapperten alle gleichzeitig los.
»Jetzt heiratest du wie ich in die Fremde!«, war Hannahs erster Kommentar. Viel fehlte nicht, und sie hätte geheult.
Suse stieà einen spitzen Schrei aus. »Ich habs gewusst, ich habs gewusst!« Sie sprang auf und drückte Flora fest an sich.
Die Zwillinge gaben ein paar unverständliche Laute von sich, die man als Glückwünsche betrachten konnte, dann klopften sie Friedrich und Flora auf die Schulter.
Hannah stand auf und machte sich am Herd zu schaffen. Einen Moment für sich haben, einen Moment nur â¦
Ihre kleine Flora würde heiraten. Gönningen für immer verlassen. So, wie sie einst Nürnberg verlassen hatte, um Helmut zu suchen.
Ãber die Schulter warf sie ihrer Tochter einen prüfenden Blick zu. Das kam alles so plötzlich! Hatte Flora es sich auch gut überlegt? Wie sie Friedrichs Hand hielt ⦠Flora wirkte dabei noch so kindlich, so unbedarft. Oder war das Mädchen womöglich schwanger? Nicht jedes Weibsbild heiratet, weil es sich in einer Zwangslage befindet, schalt Hannah sich sofort für ihren Argwohn.
Mit einem Mal kamen viele Erinnerungen zurück. Eiskalt war es gewesen, als sie hier ankam, kurz vor Weihnachten im Jahr 1849 . Der Schnee hatte kniehoch gelegen â¦
Wie war ihr bange gewesen, ob Gönningen überhaupt eine neue Heimat für sie werden konnte! Zugegeben, ihre damalige Situation war mit der von Flora nicht zu vergleichen â so, wie Friedrich Flora anhimmelte, gab es an seiner Liebe wohl keinenZweifel. Sie, Hannah, hatte um die Liebe ihres Mannes erst noch kämpfen müssen. Es war nicht immer ein fairer Kampf gewesen, aber wie hieà es so schön? Im Krieg und in der Liebe sind alle Waffen erlaubt â¦
Inzwischen hatte sie sich mit ihrer Widersacherin von damals arrangiert, sie lebten sogar gemeinsam unter einem Dach, wenn auch in verschiedenen Stockwerken. Seraphine war mit Valentin verheiratet, seit vielen Jahren schon. Und manchmal gelang es ihm sogar, sie zum Lachen zu bringen. Die meiste Zeit jedoch mühte
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