Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
drei Monaten hatten die Guptas ihn losgeschickt, um einen Satz Kopien der Schlüssel für den Supermarkt und das Restaurant anfertigen zu lassen - und er hatte zwei Sätze machen lassen. Was ihn da geritten hatte, wusste er auch nicht so genau, bestimmt keine böse Absicht, doch wenn ihn das Leben eines gelehrt hatte, dann, stets vorbereitet zu sein.
Heute Abend würde er also einmal nach dem Rechten sehen.
Kurz vor Sonnenuntergang verließ er seine Wohnung und ging zum Supermarkt rüber. Die Straße war ruhig und menschenleer, bis auf einen schwarzen Husky, der ihn von der gegenüberliegenden Seite aus anbellte, sich aber nicht zu ihm herübertraute. Angel hatte den Köter noch nie gesehen.
Der Supermarkt hieß eigentlich Taj Mahal, doch das ständige Übermalen der Graffitis und Abkratzen der Plakate hatten den opulent gestalteten Schriftzug bis zur Unkenntlichkeit verschandelt. Lediglich die rosafarbene Silhouette des indischen Weltwunders erinnerte noch an die frühere Pracht. Zumindest bis vor kurzem. Nun hatte irgendjemand ein merkwürdiges Geflecht aus neonorangefarbenen Linien über das Gemälde gesprüht. Die Farbe war noch nicht einmal ganz getrocknet.
Zumindest waren die Schlösser intakt; die Tür war nicht aufgebrochen.
Angel sperrte auf und humpelte in den Laden. Drinnen war es totenstill. Der Strom war ausgefallen, damit auch die Kühltruhen, und das darin eingelagerte Zeug war bestimmt längst verdorben. Die letzten Strahlen der untergehenden
Sonne fielen durch die vergitterten Fenster und tauchten die vordere Hälfte des Raumes in einen orangegoldenen Nebel. Dahinter lag alles im Dunkeln. Angel hatte zwei kaputte Handys dabei, mit denen man zwar nicht mehr telefonieren konnte, deren Batterien jedoch noch Saft hatten. Kurz zuvor hatte er ein Bild von seiner weißen Küchenwand geschossen, sodass die Displays nun genug Licht abgaben, um als Taschenlampenersatz zu fungieren. Er konnte sich die Handys an den Gürtel klemmen oder sogar am Kopf befestigen.
Ein urbaner Höhlenforscher.
Im Supermarkt herrschte ein heilloses Durcheinander. Zahllose Behälter waren umgeworfen worden, Reis, Linsen und anderes Zeug bedeckten den Boden. Die Guptas hätten so etwas nie durchgehen lassen.
Irgendetwas war hier nicht in Ordnung. Ganz und gar nicht.
Und dann noch dieser Gestank. Ammoniak. Angel tränten zwar nicht die Augen wie von dem Industriereiniger, den er zum Toilettenputzen benutzte, dafür haftete dem Geruch etwas Fauliges an; er war nicht chemisch rein, eher verwesendorganisch. Er entdeckte Spuren klebriger, orangefarbener Flüssigkeit auf dem Boden, denen er mit der Handylampe bis zur Kellertür folgte. Der Keller unter dem Supermarkt - das wusste Angel - war mit dem Restaurant und dem Untergeschoss seines Mietshauses verbunden.
Er ging zum Büro der Guptas und stieß mit der Schulter die Tür auf. Er wusste, dass die Jungs im Schreibtisch einen alten Revolver aufbewahrten, eine schwere, nach Öl stinkende Waffe, die nichts mit den blankpolierten Attrappen gemein hatte, mit denen er früher in seinen Filmen herumgefuchtelt hatte. Er steckte eines der Handys in den Gürtel, holte die Waffe heraus und ging zurück zur Kellertür.
Er kam nur langsam voran - die Kellertreppe war glitschig, und sein Knie schmerzte stärker als je zuvor. Doch schließlich stand er am Fuß der Treppe vor einer weiteren
Tür. Sie war aufgebrochen, von innen. Irgendjemand war durch den Keller in den Supermarkt eingedrungen.
Aus dem Lagerraum hinter der Tür ertönte ein gleichmäßiges Zischen. Handy und Revolver im Anschlag, betrat Angel vorsichtig den Raum.
Er entdeckte ein weiteres Graffiti, dessen Farbe noch glänzte. Ein goldener Punkt mit sechs davon ausgehenden schwarzen Linien. Eine Blume? Ein Insekt? Oder nur eines dieser bescheuerten Tags? Angel schüttelte den Kopf, dann zwängte er sich durch eine kleine Tür in den nächsten Lagerabschnitt.
Hier war die Decke niedriger und wurde durch Holzbalken gestützt. Angel war immer mal wieder hier unten gewesen. Ein Gang führte zu einer schmalen Treppe; das war der Lieferanteneingang, durch den dreimal die Woche Waren in den Keller transportiert wurden. Ein zweiter Gang führte zur Mietskaserne. Er wollte gerade in diese Richtung losmarschieren, als er mit der Schuhspitze gegen etwas stieß.
Er leuchtete mit dem Handy nach unten.
Unfassbar! Da lag einer und schlief. Und da noch einer. Und zwei weitere neben ein paar aufeinandergestapelten Stühlen …
Schliefen
Weitere Kostenlose Bücher