Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
erhaschte er den wundervollen Duft ihres Haars - ein Duft, an den er in den Stunden, in denen sie nicht zusammen waren, immer wieder denken musste. Bald gestanden sie sich ihre gegenseitige Zuneigung, und im Verborgenen blühte ihre Leidenschaft.
Als die Gerüchte zu dem Verfahren führten, in dessen Folge Setrakian seine Stelle als Professor verlor, war sein Ruf in der Stadt so nachhaltig geschädigt, dass die Verbindung zu Miriam auf den heftigen Widerstand ihrer Familie stieß. Doch ihre Liebe hielt auch dem stand. Setrakian und Miriam brannten durch und heirateten insgeheim in einem kleinen Dörfchen namens Mönchhof; nur Professor Zelman und eine Handvoll von Miriams Freunden wohnten der Zeremonie bei.
Miriam erwies sich im Laufe der Jahre als treue Begleiterin auf Setrakians Exkursionen, spendete Trost in schweren Stunden, glaubte leidenschaftlich an seine Sache. Er hielt sich mit dem Verfassen von Kunstprospekten und als Kurator für Antiquitätenhändler über Wasser. Miriam konnte mit dem wenigen, das sie hatten, gut haushalten, und sie führten ein einfaches, ruhiges Leben.
Jeden Abend rieb Setrakian Miriams schmerzende Beine mit einer Mischung aus Alkohol, Kampfer und Kräutern ein, massierte ihre verkrampften Muskeln und Sehnen - und ließ
sich nie anmerken, dass seine Hände ebenso schmerzten. Jede Nacht erzählte er ihr alte Mythen und Legenden, Geschichten voll geheimer Bedeutung und verborgenem Wissen, und sang ihr Schlaflieder aus seiner Heimat vor.
Das alles änderte sich im Frühjahr 1967.
In diesem Jahr kam Setrakian in Bulgarien endlich Thomas Eichhorst auf die Spur, dem ehemaligen Lagerkommandanten, der ihn der Handwerkereinheit zugeteilt und einmal vor seinen Augen zwei Vorarbeiter erschossen hatte. Setrakian hoffte inständig, dass ihn sein ehemaliger Peiniger auf Sardus Spur führen würde, und so verfolgte er Eichhorst über den ganzen Balkan. Bis nach Albanien, wo seit Kriegsende ein kommunistisches Regime herrschte; aus irgendeinem Grund gediehen die strigoi in totalitären Staaten besonders gut.
Sie mieteten eine Wohnung in einem kleinen Dorf in der Nähe von Shkodra, und da Miriam sehr schwach war, ließ Setrakian sie dort zurück und machte sich allein auf einem Pferd in das fünfzehn Kilometer entfernte Drisht auf. Er trieb das störrische Tier einen steilen Kalksteinberg hinauf, und auf alten, von den Ottomanen angelegten Pfaden erreichte er schließlich das Schloss auf der Spitze der Anhöhe.
Kalaja e Drishtit - Burg Drisht - war im dreizehnten Jahrhundert als eine von mehreren hochgelegenen byzantinischen Befestigungsanlagen errichtet worden, hatte erst unter montenegrinischer, dann kurzzeitig unter venezianischer Herrschaft gestanden, bis die gesamte Region im Jahre 1478 an die Türken gefallen war. Fünfhundert Jahre später lag nun ein kleines muslimisches Dorf mit einer Moschee neben der Burg, deren einst gewaltige Mauern langsam, aber sicher verfielen.
Setrakian fand das Dorf verlassen vor - und im Nachhinein verfluchte er sich dafür, dass ihm dieser Umstand nicht sofort verdächtig erschienen war.
Er betrat die Burgruine, und in einem Kellergewölbe entdeckte er schließlich den Sarg. Es war eine einfache, relativ
moderne Holzkonstruktion, ein Sechseck, nach oben hin verjüngt, aus Massivholz - Zypresse, vermutete Setrakian -, an dem sich kein einziges Metallteil befand. Statt mit Nägeln wurden die Bretter mit Holzdübeln zusammengehalten, und die Deckelscharniere waren aus Leder.
Die Nacht war noch nicht angebrochen, doch im Keller war es nicht hell genug, um allein auf die Kraft der Sonne zu vertrauen. Setrakian zog sein Silberschwert und öffnete vorsichtig den Deckel des Sarges.
Der Sarg war leer. Und nicht nur das: Er hatte keinen Boden, er erfüllte die Funktion einer gut getarnten Falltür. Setrakian zog sich eine Stirnlampe über und spähte hinunter. In etwa vier Metern Tiefe konnte er den Erdboden und einen Tunnel erkennen.
Er bewaffnete sich mit einem ganzen Arsenal von Gerätschaften - darunter Reservetaschenlampe, Ersatzbatterien, etliche Messer und das Silberschwert -, ließ den Proviant und den größten Teil seines Wasservorrats jedoch zurück. Dann stieg er in den Sarg, band ein mitgebrachtes Seil um einen in der Mauer eingelassenen Ring und ließ sich vorsichtig hinab.
Unten war der Ammoniakgestank der strigoi -Ausscheidungen überwältigend, und Setrakian musste vorsichtig sein, um nicht in eine der Pfützen zu treten. Vor jeder Gabelung blieb
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