Das Blut der Azteken
wollte. Und es kümmerte keinen Menschen, ob sie neugierig auf die Welt hinter diesen grauen Mauern war. Wie einen kaum entwöhnten Welpen hatte man sie einfach im Kloster abgeliefert.
Im Jahr ihres Noviziats, kurz bevor sie ihr Gelübde ablegen sollte, geriet sie mit einer der Nonnen in Streit. Schwester Juanita war nach dem Tod ihres Mannes ins Kloster eingetreten, und böse Zungen behaupteten, der Gatte sei mit Freuden verschieden, nur um ihr zu entrinnen. Juanita war eine große, kräftige Frau, und als der Zank zu einer Prügelei ausartete, hatte Catalina Mühe, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Als ihre Kräfte sie verließen, legte Gott ihr einen schweren Kerzenleuchter aus Messing in die Hand. Anschließend brachten die Nonnen Doña Juanita zu Bett und hofften, dass sie wieder zu sich kommen würde.
Doña Catalinas Bestrafung hing davon ab, ob Juanita sich wieder erholen würde, und sie grübelte darüber nach, was nun aus ihr werden sollte. Die Antwort kam, wie ein erneuter Befehl Gottes, am Tag des heiligen Joséf, als das gesamte Kloster um Mitternacht aufstand, um bis zum Morgengrauen zu beten. Als Catalina ins Chorgestühl kam, traf sie ihre Tante auf den Knien liegend an. Sie reichte Catalina den Schlüssel zu ihrer Zelle und bat sie, ihr Brevier zu holen. In der Zelle ihrer Tante bemerkte Catalina, dass der Schlüssel zur Klosterpforte dort an einem Nagel hing.
Im Licht einer Lampe suchte sie eine Schere, Nadeln und Faden zusammen und griff nach dem Schlüssel. Gefolgt von den Stimmen aus dem Chorgestühl, verließ Catalina für immer ihr Gefängnis.
Draußen angekommen, nahm sie den Schleier ab, öffnete die Pforte und trat auf die Straße hinaus, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Im ersten Moment war sie wie erstarrt und hätte sich am liebsten zurück ins Kloster geflüchtet. Dann jedoch gewann die Neugier die Oberhand; sie nahm all ihren Mut zusammen und ging die dunkle, verlassene Straße entlang.
Drei Tage lang versteckte sich Catalina in einem Kastanienhain, aß von den Bäumen und trank Wasser aus einem nahe gelegenen Fluss. Aus ihrem blauen wollenen Nonnengewand schneiderte sie sich eine knielange Hose und einen kurzen Umhang. Aus dem grünen Unterrock fertigte sie Wams und Strumpfhose.
Häufig wurde Catalina gefragt, warum sie sich entschlossen habe, ein Mann zu werden. Vielleicht lag es daran, dass sie ihr ganzes Leben ausschließlich in der Gesellschaft von Frauen verbracht hatte und sich nun nach Abwechslung sehnte. Außerdem eignete sich ein Nonnengewand besser zur Herstellung von Männersachen als von Frauenkleidung.
Nachdem sie sich als Mann verkleidet hatte, fühlte sie sich so wohl wie noch nie in ihrem Leben. Schließlich war es eine Männerwelt, in der Frauen nur wenig mitzureden hatten. Wahrscheinlich hatte sie das Gefühl, Hosen tragen zu müssen, wenn sie die Freuden des Lebens genießen wollte. Und an diesem Tag, im Alter von fünfzehn Jahren, schwor sie sich, nie wieder Frauenkleider anzulegen. Catalina hatte sich endlich selbst gefunden.
Auf ihren ziellosen Wanderschaften erreichte sie die Stadt Vittoria, etwa hundert Kilometer von San Sebastian entfernt. Sie wusste zwar nicht, was sie dort tun sollte, hatte aber noch immer ein paar Pesos in der Tasche und schlug sich zuerst einmal ordentlich den Bauch voll. Sie blieb einige Tage lang in der Stadt und lernte dort einen Theologieprofessor namens Don Francisco de Cerralta kennen.
Don Francisco hielt sie für einen jungen Pícaro, der allein auf der Welt war, und nahm sie als Diener in sein Haus auf. Als er feststellte, dass Catalina Latein lesen konnte, musste sie viele Stunden in seinem Zimmer verbringen und Seite an Seite mit ihm arbeiten. Eines Nachts weckte er sie und bestand darauf, dass sie ihn sofort begleitete, um ihm bei der Übersetzung einer alten Urkunde zu helfen. Als sie ihre Hose anziehen wollte, packte er sie am Arm und meinte, sie solle im Nachthemd mitkommen, da er es sehr eilig habe.
Als sie mit dem Manuskript nebeneinander im Kerzenlicht auf einer Bank saßen, spürte sie plötzlich die Hand des Mannes auf ihrem Knie.
»Du bist ein hübscher Junge«, sagte er. »So zart wie ein Mädchen.«
Catalina war fünfzehn und hatte keine Erfahrung mit Männern. Sie kannte nur die Geschichten der Ordensfrauen im Kloster, die Männer als widerwärtige Lüstlinge darstellten.
Als er ihr das Nachthemd zurückzog und ihr zwischen die Beine griff, stellte er fest, dass sie keinen Penis hatte.
»Du bist ein
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