Das Blut der Azteken
Indioaufstand ausbreiten wie ein Buschfeuer. Vielleicht ist dieser naualli trotz seines Alters so ein Anführer.«
»Dann rösten wir eben die Füße dieses Hexers über einem Feuer, bis er uns die Namen seiner Ritter nennt«, sagte Mateo.
»Amigo, Ihr denkt zu sehr wie ein Spanier«, widersprach der Don. »Genau so sind die Eroberer nach dem Fall von Tenochtitlán mit Cuitláhuac, Montezumas Nachfolger, verfahren. Sie haben ihn gefoltert, um herauszufinden, wo er sein Gold versteckt hielt. Schon damals war diese Methode erfolglos, und sie würde uns auch heute nicht weiterbringen, denn wir haben es nicht mit gewöhnlichen Indiokriegern, sondern mit Fanatikern zu tun. Ihr«, Don Julio wies auf Mateo, »kennt die Geschichte vom alten Mann und vom Berg gewiss. Aber du«, fügte er mit einem Lächeln an mich gewandt hinzu, »hast trotz deines breiten Wissens sicher noch nie davon gehört.«
»Nein, ich kenne diese Geschichte nicht«, erwiderte ich.
»Vor vielen Hunderten von Jahren zogen die christlichen Heere ins Heilige Land, um es von den Ungläubigen zu befreien. Während eines dieser Kreuzzüge schickte Rashid ad-Din, der Anführer einer muslimischen Sekte, seine Gefolgsleute aus, um seine arabischen Feinde und die Befehlshaber der Christen zu ermorden. Weil seine Festung auf dem Gipfel eines Bergs lag, nannten wir ihn den alten Mann vom Berg.
Unsere Leute bezeichneten seine Anhänger als Assassinen, eine Abwandlung des arabischen Worts für Haschischraucher. Marco Polo, ein Reisender aus Venedig, fand heraus, dass die Assassinen Rauschmittel zu sich nahmen, bevor sie ihre grausigen Verbrechen begingen. Unter ihrem Einfluss glaubten sie, dass sie sich in Allahs Paradies befanden. Dann zogen sie aus, ihre Feinde zu töten, wissend, dass sie selbst gefasst und getötet werden könnten. Aber sie waren überzeugt davon, dass sie, wenn sie starben, nachdem ihr Mordauftrag erledigt war, ins Paradies zurückkehren würden.
Die Azteken waren noch geschickter im Umgang mit bewusstseinsverändernden Drogen. Einer der Jaguarritter, den wir ergreifen konnten, hatte vor seiner Gräueltat Rauschmittel genommen. Selbst unter der härtesten und andauerndsten Folter verriet er den Männern des Vizekönigs fast nichts. Seine Wahrnehmung hatte sich so verändert, dass er den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und einem Ort nicht mehr kannte, den er als Haus der Sonne bezeichnete.«
»Das Haus der Sonne ist der Himmel jenseits des Wassers im Osten«, sagte ich. »Wenn ein Aztekenkrieger im Kampf stirbt, kommt seine Seele nicht in die Unterwelt, sondern ins Paradies.«
Mateo klopfte sich mit dem Schwert auf den Stiefel. »Vielleicht ist dieser naualli für die Indios der alte Mann vom Berg.«
»Genau«, meinte Don Julio.
»Und Ihr wollt, dass ich diesen elenden kleinen Dieb mitnehme«, Mateo zeigte mit dem Schwert auf mich, »um gemeinsam mit ihm diesen schwarzen Magier zu finden und die Wahrheit aus ihm herauszuholen.«
»Fast. Ich möchte, dass Ihr ihn fangt, damit wir ihn hängen können.«
»Ich verstehe. Aber natürlich kenne ich als spanischer Edelmann die Sprache und die Gebräuche dieser Leute nicht. Also sollte man diesen tapferen jungen Burschen allein auf die Suche nach dem naualli schicken. Wenn er ihn aufspürt, kann er mir ja eine Nachricht zukommen lassen. Ich warte in Eurem Haus in Mexiko-Stadt…«
Als Don Julio den Kopf schüttelte, verstummte Mateo. »Ich halte es für besser, dass Ihr in der Nähe seid, wenn der Junge auf die Jaguare stößt, damit Ihr ihn beschützen könnt. Außerdem ist er, wie Ihr selbst mir bestätigt, ein unzuverlässiger Strauchdieb, den man nicht unbeaufsichtigt lassen sollte.«
Mateo lächelte mich zwar an, doch seine Augen blickten finster. Schon wieder gab er mir die Schuld.
Der Mann war ein Wolf in den Kleidern eines Pícaro. Eines Tages würde ich ihm ein Geheimnis verraten, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür: Er hatte mich unabsichtlich mit Bastarde angesprochen, einem Namen, den er vor vielen Jahren auf dem Markt gehört hatte. Also wusste er sehr wohl, dass ich derjenige war, für den er einem Mann den Kopf abgeschlagen hatte.
46
Wenn man dem Zauberer glauben konnte, waren alle Dinge auf dieser Welt vorherbestimmt. Die Götter hatten in ihre steinernen Bücher eingraviert, wie sich unser Leben vom Augenblick der Geburt an entwickeln würde. Ich war überzeugt davon, dass die Götter mir Don Julio geschickt und mich nicht grundlos mit dieser Mission
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