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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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meiner Mutter teilte, um mich zu wecken. Sein Gesicht war bleich und verhärmt, seine Augen waren von Schlafmangel gerötet. Er wirkte angespannt und ängstlich.
    »Habt Ihr die ganze Nacht mit den Teufeln gerungen?«, fragte ich.
    »Ja, und ich habe verloren. Pack deine Sachen. Wir brechen sofort auf. Meine Habe wird gerade auf einen Wagen geladen.«
    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass wir nicht nur das Nachbardorf besuchen würden.
    »Wir gehen für immer fort von hier. Beeil dich.«
    »Was ist mit meiner Mutter?«
    Er blieb an der Tür der Hütte stehen und starrte mich an, als erstaunte ihn meine Frage. »Deine Mutter? Du hast keine Mutter.«

III

    Totenstadt, das war der Name, den die Spanier bald für Veracruz fanden.
    Cristo el Bastardo

1
    Eine Weile waren wir obdachlos. Wir zogen von Kirche zu Kirche, wo der Bruder um Essen und Unterkunft für uns bettelte. Da ich noch immer keine zwölf Jahre alt war, verstand ich nicht richtig, was für ein Unglück uns befallen hatte. Ich spürte nur meine wund gelaufenen Füße und meinen leeren Magen. Den Gesprächen zwischen Bruder Antonio und seinen Glaubensbrüdern entnahm ich, dass Don Francisco ihn beschuldigte, das Christentum verraten und seine Pflichten verletzt zu haben, indem er ein Indiomädchen geschwängert hätte. Trotz meiner Jugend erschrak ich, als ich hörte, dass es sich bei dieser Frau um Miaha handelte und dass ich angeblich ein Kind der Sünde war.
    Obwohl ich Bruder Antonio liebte wie einen Vater, war ich sicher, dass er in Wirklichkeit nicht mein Vater war. Eines Tages, als er kräftig dem Wein zugesprochen hatte, was häufiger vorkam, schwor er, mein Vater sei ein hoch angesehener Sporenträger. Allerdings sagte der Bruder eine ganze Menge, wenn er unter dem Einfluss des Nektars der Götter stand.
    Er gestand mir zwar, dass er mit Miaha geschlafen habe, doch gezeugt habe er mich nicht. Außerdem trug er weit er zu dem Verwirrspiel um meine Geburt bei, indem er behauptete, Miaha habe mich gar nicht zur Welt gebracht.
    Im nüchternen Zustand stritt er alles ab.
    Eines Tages wurde der arme Bruder zu seiner Bestürzung von einem Bischof der Kirche seines Amtes entkleidet. Böse Zungen hatten Vorwürfe gegen ihn erhoben, und er hatte sich die Mühe gespart, sich dagegen zu verteidigen; für vieles gab es wirklich keine Entschuldigung, aber ich spürte, wie traurig er war. Er hatte ein zu weiches Herz, das war seine einzige Sünde.
    Auch wenn die Kirche ihm die priesterlichen Weihen entzogen hatte, weshalb er nicht mehr die Beichte hören und keine Absolution mehr erteilen durfte, konnte sie ihn nicht daran hindern, seinen Mitmenschen zu helfen. Und in Veracruz gab man ihm schließlich eine neue Aufgabe.
    Veracruz! Die Stadt des wahren Kreuzes.
    Totenstadt, das war der Name, den die Spanier bald für Veracruz fanden. Denn der gefürchtete vómito negro, das schwarze Erbrechen, zog wie eine vergiftete Brise aus Mictlán, der Unterwelt der Aztekengötter, heran und tötete jedes Jahr ein Fünftel der Bevölkerung.
    Während der heißen Sommermonate stieg die Krankheit aus den Sümpfen auf; ihr übler Gestank erhob sich aus dem verseuchten Wasser und waberte durch die Stadt, begleitet von Moskitoschwärmen, die über die Menschen herfielen wie die Froschplage im alten Ägypten. Die faulige Luft wurde den Reisenden zum Verhängnis, die die Schiffe im Hafen verließen und, einen duftenden Blumenstrauß vors Gesicht gepresst, in das nahe gelegene Bergland eilten. Wer sich mit dieser schrecklichen Krankheit ansteckte, litt an Fieber und an grauenhaften Kopf- und Rückenschmerzen. Bald verfärbte sich die Haut gelblich, und die Kranken erbrachen schwarzes, geronnenes Blut, bis der Tod sie von ihren Qualen erlöste.
    Bruder Antonio eröffnete ein Armenhaus, für ihn ebenso ein Hort Gottes wie die prächtigsten Kathedralen der Christenheit. Die aus dünnen Brettern bestehenden Wände und Decken waren vom heftigen Regen, den Winden und der Hitze verwittert. Sand und Staub wehten herein, und wenn es stürmte, wackelte das ganze Gebäude. Ich schlief auf einem schmutzigen Strohhaufen neben Huren und Säufern und kauerte mich zweimal täglich neben das Feuer, um mir eine mit Bohnen gefüllte Tortilla abzuholen. Diese einfache Speise war ein Festmahl für Menschen, die bislang auf der Straße gelebt hatten.
    Dass ich die nächsten Jahre auf den Straßen der verkommen s ten Stadt von Neuspanien verbrachte, machte mich von einem Bauernjungen zum

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