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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Gewohnheitsverbrecher. Lügen, Stehlen, Betrügen und Betteln waren nur einige der Fähigkeiten, die ich mir aneignete.
    Ich muss zugeben, dass ich kein braver Junge war. Ich sang keine Kirchenlieder, sondern das Lied der Straße: Ich bettelte um Almosen. »Mitleid mit einer armen Waisen!«, so lautete mein Text. Oft beschmierte ich mich mit Dreck, verdrehte die Augen und verrenkte die Arme, bis diese mir fast aus den Schultergelenken sprangen, um leichtgläubigen Menschen eine Spende zu entlocken.
    Doch werft nicht den ersten Stein, wie der Bischof es bei dem armen Bruder Antonio tat, als er ihn seines Amtes entkleidete. Die Straßen von Veracruz waren ein Schlachtfeld, auf dem man entweder Reichtümer erringen oder den Tod finden konnte.
    Einige Jahre später hatten sich die dunklen Wolken, die sich auf der Hacienda so plötzlich über uns gesenkt hatten, endlich verzogen. Kurz nach meinem vierzehnten Geburtstag jedoch fiel erneut der Schatten des Todes auf uns.
    Ich hatte an einem Brunnen auf dem Hauptplatz der Stadt meine Verrenkungen vollführt und um Almosen gebettelt. Mein Becher blieb zwar leer, aber ich war nicht besonders traurig darüber. Am frühen Morgen hatte ich mich durch Dante Alighieris Göttliche Komödie gequält, wobei man nicht glauben darf, dass ich diesen Wälzer zu meinem Vergnügen las: Bruder Antonio bestand darauf, dass ich meine Bildung nicht vernachlässigte. Und da unsere Bibliothek nicht sehr umfangreich war, musste ich dieselben Bücher wieder und wieder studieren.
    Bruder Antonio hatte sich das Epos von Bruder Juan geliehen, einem jungen Priester, der, obwohl Antonio von der Kirche verstoßen worden war, eine heimliche Freundschaft mit ihm pflegte. Inzwischen war auch Bruder Juan an der Verschwörung beteiligt, einen gebildeten Menschen aus mir zu machen. Nachdem ich an diesem Morgen die Verse in meinem gebrochenen Italienisch rezitiert hatte, strahlte Bruder Antonio übers ganze Gesicht und brüstete sich mit meiner Klugheit. Bruder Juan stimmte ihm zu. »Er saugt Wissen in sich auf wie du den guten Wein aus Jerez, den ich aus der Kathedrale mitbringe«, sagte er.
    Selbstverständlich blieb meine Belesenheit ein Geheimnis zwischen mir und den beiden Mönchen. Wer einem lépero das Lesen beibrachte, riskierte es, eingesperrt und auf die Streckbank gespannt zu werden. Wäre unser Treiben ans Licht gekommen, hätte unsere Hinrichtung sicher Grund zu einem Volksfest gegeben.
    Denn genau das bedeutete eine öffentliche Bestrafung für die Menschen. An diesem Tag hatte sich die halbe Stadt in ihren Sonntagsstaat gehüllt und sich versammelt, um einer Auspeitschung beizuwohnen.
    Ein Aufseher in braunem Lederwams, Lederhosen und kniehohen, schwarzen Stiefeln stellte dreißig gefesselte, zerlumpte Gefangene zu Sechsergruppen auf und verfrachtete sie auf vergitterte Eselskarren. Der Mann trug einen schmutzigen, tief in die Stirn gezogenen Filzhut und hatte einen dunklen Bart und böse Augen. Außerdem machte er ausgiebig von der Peitsche Gebrauch und begleitete ihr Knallen mit Flüchen, die einem das Blut gefrieren ließen.
    Die Sträflinge schlurften gekrümmt vor Schmerzen und mit zusammengebissenen Zähnen in ihre fahrbaren Gefängnisse.
    Sie sollten zu den Silberminen im Norden gebracht werden, obwohl es sich bei den meisten von ihnen nicht um Mörder, Diebe oder Zuhälter handelte. Es waren hauptsächlich Schuldner, die von ihren Gläubigern in die Leibeigenschaft verkauft worden waren und in den Silberminen ihre Schuld abarbeiten sollten. Wenigstens wiegten sie sich in diesem Glauben. Doch wenn man die Kosten für Verpflegung, Kleidung, Unterbringung und Transport zu ihren Schulden hinzuzählte, ergab sich eine Summe, die sie nie im Leben würden zurückzahlen können.
    Kaum einer von ihnen würde die Silberminen überleben.
    Die meisten von ihnen waren Mischlinge. Der Alcalde der Stadt - der vom Vizekönig eingesetzte Kommandant - ließ in regelmäßigen Abständen die Straßen von herumlungernden léperos säubern und die Aufgegriffenen nach Norden in die Bergwerke schaffen.
    Ich könnte auch dabei sein, dachte ich voller Furcht.
    Mit einem flauen Gefühl starrte ich die Mestizen unter den Gefangenen an. Früher hatten ausschließlich Indios in den Bergwerken gearbeitet, doch der Großteil von ihnen war durch die Entbehrungen der Sklaverei und von Krankheiten dahingerafft worden. Nach Ansicht von Bruder Antonio hatten fünfundneunzig von hundert die Strapazen nicht überlebt, bis der

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