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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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König persönlich die Versklavung von Indios untersagt hatte. Allerdings hatte dieser Befehl nicht viel bewirkt. Immer noch starben Zehntausende in den Gängen, Schmelzwerken und Gruben, ganz zu schweigen von denen, die auf den Zuckerrohrfeldern und in den Zuckerfabriken den Tod fanden. Andere ließen in den obrajes, den kleinen Manufakturen, ihr Leben, wo Wolle und Baumwolle gesponnen und gefärbt wurden und wo sie in Ketten gelegt arbeiten mussten.
    Unter dem Jubel der Menge zerrten drei Wachmänner einen entlaufenen Sklaven zum Strafpfosten, um ihm seine hundert Streiche zu verabreichen. Nachdem er gefesselt und geknebelt worden war, schritt der oberste Wachmann die vorgeschriebene Distanz ab und ließ die Peitsche knallen. Die Zuschauer prosteten einander zu und johlten. Trotz des Knebels übertönten die Schreie des Verurteilten den allgemeinen Jubel.
    Immer wieder sauste die Peitsche nieder. Ich wandte den Blick ab.
    Endlich war der letzte Hieb geschlagen.
    »Läuse«, sagte ein Mann neben mir. Es war ein Kaufmann, dessen gewaltiger Wanst und prächtige Kleidung von großem Reichtum zeugten. Seine zierliche Gemahlin war in Seide gehüllt. Ein afrikanischer Sklave hielt schützend einen Sonnenschirm über sie.
    »Diese léperos vermehren sich wie die Bettwanzen«, stimmte sie zu und nickte verächtlich. »Wenn der Alcalde sie nicht aus der Gosse aufsammelte, würden wir auf Schritt und Tritt über sie stolpern.«
    Wieder hörte ich Tumult. Ein frecher Straßenjunge hatte einen Stein nach einem Geier geworfen und ihm den rechten Flügel zerschmettert. Etwa ein Dutzend weitere Straßenkinder, keines davon älter als neun, schloss sich ihm an und band den verletzten Vogel an einen Baum. Dann prügelten sie ihn mit einem Stock.
    Einer der Jungen hatte einen krummen Arm, der an den gebrochenen Flügel des Geiers erinnerte. Ich hatte auf der Straße gehört, dass ein Bettlerkönig, der den Huren ihre Bastarde abkaufte, diesem kleinen Bettler den Ellenbogen ausgerenkt hatte, damit er mehr Geld einbrachte. Bruder Antonio jedoch tat solche Unterstellungen als ›Gerüchte und Lügenmärchen‹ ab und bezeichnete den angeblichen Bettlerkönig als einen vom Glück verlassenen Bettelmönch. Die Straßenjungen und -mädchen waren für ihn weder ›Läuse‹ noch ›Ungeziefer‹, sondern ›Kinder Gottes‹, da nur wenige von uns wussten, wer unsere Väter waren. Gezeugt durch eine Vergewaltigung oder vom Freier einer Hure wurden wir von allen außer von Gott verachtet.
    Natürlich ging es mir besser als den meisten, denn ich konnte auf Stroh schlafen und bekam im Armenhaus etwas zu essen. Außerdem hatte mir Bruder Antonio Bildung vermittelt, obwohl er sich damit selbst in Gefahr brachte. Dem Bruder und seinen Büchern hatte ich es zu verdanken, dass ich auch andere Welten kannte.
    Ich träumte von Trojas Untergang und von Achilles in seinem Zelt.

2
    Während ich zusah, wie die Gefangenen in vergitterten Eselskarren nach Norden in die Bergwerke geschafft wurden und der gefesselte Geier auf dem Boden im Kreis herumflatterte, bemerkte ich, dass ich beobachtet wurde.
    Etwa fünfzig Schritte entfernt in einer prächtigen Kutsche aus poliertem Eichen-und Zedernholz, ausgestattet mit weichem Samt, schimmerndem Leder und blitzenden Beschlägen und gezogen von stattlichen Pferden saß eine alte Frau und fixierte mich mit Blicken.
    Sie war eine hochmütige Aristokratin, in schwarze Seide gehüllt und mit Perlen, Gold und Edelsteinen behängt; ein Wappen schmückte die Tür der Kutsche.
    Die Frau war sehr mager und bestand eigentlich nur aus Haut und Knochen. Alles Geld der Welt konnte das Feuer der Jugend nicht mehr in ihr entfachen.
    Ganz sicher war sie die Herrin eines großen Hauses und inzwischen alt und bösartig geworden. Sie erinnerte mich an einen alten Raubvogel auf der Jagd, mit ausgestreckten Klauen, gierigem Blick und knurrendem Magen.
    Als Bruder Antonio auf den Platz kam, wandte sie sich um und betrachtete ihn.
    Der Mönch war kahlköpfig und hatte hängende Schultern und eine bedrückte Miene. Er verehrte das Kreuz nicht nur, er trug es auch, indem er die Leiden seiner Mitmenschen auf sich nahm und ihren Schmerz in seinem Herzen bewahrte.
    Für die léperos und andere Mischlinge war er ein Geschenk Gottes. Seine kleine Holzhütte im Elendsviertel bot ihnen den einzigen Schutz, den viele von ihnen je finden würden.
    Einige behaupteten, Bruder Antonio sei durch den übermäßigen Genuss von Messwein auf die schiefe

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