Das Blut der Azteken
saßen nun mit stumpfem Blick vor strohgedeckten Hütten und kratzten mit einem Stöckchen in der Erde.
54
Allmählich wuchs in Mateo die Gewissheit, dass der naualli nicht der Anführer des Jaguarkultes war. »Wir beobachten ihn jetzt schon seit Wochen. Wenn er etwas im Schilde führen würde, wüssten wir es bereits.«
Ich teilte seine Ansicht nicht. Mateo hatte nur keine Lust, dem naualli hinterherzuspüren, weil er sich hier in der Provinz langweilte. Mit der Zeit erfuhr ich mehr darüber, warum er mit dem Gesetz des Königs in Konflikt geraten war. José vertraute mir an, Mateo sei, anders als die übrigen Mitglieder der Schauspielertruppe, nicht beim Verkauf verbotener Bücher ertappt worden. Das Glücksspiel hatte ihn in Schwierigkeiten gebracht, denn er hatte in der Hitze des Gefechts einen jungen Mann des Betrugs beim Kartenspiel bezichtigt. Schwerter wurden gezückt, und kurz darauf hauchte der junge Mann auf dem Boden des Gasthauses sein Leben aus. Das Duellieren war zwar offiziell verboten, doch niemand hielt sich daran. Allerdings war der Getötete ein Neffe eines Richters am obersten Gerichtshof, der seinen Sitz in Mexiko-Stadt hatte und für ganz Neuspanien zuständig war.
Wie mir José berichtete, riskierte Mateo den Galgen, wenn er sich noch einmal in der Hauptstadt blicken ließ.
Was den naualli anging, nahm meine Abneigung gegen ihn immer mehr zu. Einmal hätte er mich fast umgebracht, und außerdem hatte mich der Zwischenfall mit dem Schwein schwer gedemütigt. Doch es gab noch einen anderen Grund, warum ich unbedingt Erfolg haben wollte: Ich wusste nicht, was Don Julio mit mir anstellen würde, wenn ich versagte. Würde er mich in die Bergwerke schicken? Mich auf die schrecklichen Philippinen verbannen? Oder würde er mich einfach aufhängen und mir danach den Kopf abschlagen lassen, um diesen als Warnung an alle anderen am Stadttor auf einen Pfahl zu stecken?
Während ich noch über das traurige Schicksal nachgrübelte, das mir möglicherweise bevorstand, stolperte ich fast über das junge Mädchen, dem ich schon einmal begegnet war. Sie war mit den beiden Männern zusammen gewesen, die dem naualli in den Dschungel gefolgt waren. Sie kniete gerade auf dem Boden und pflückte Beeren, und ich wäre beinahe über sie gefallen.
»Entschuldigung«, sagte ich.
Anstelle einer Antwort erhob sie sich mit ihrem Beerenkorb und ging langsam in Richtung Wald. Bevor sie im Gebüsch verschwand, drehte sie sich um und warf mir einen auffordernden Blick zu.
Am felsigen Ufer wuschen einige Indiofrauen die Wäsche. Zwei Männer saßen vor einer Hütte, rauchten Pfeife und würfelten. Niemand achtete auf mich. Ich tat, als lungerte ich nur herum, und schlüpfte rasch ins Gebüsch.
Eine Weile schlenderte sie am Ufer entlang. Als ich sie eingeholt hatte, setzte sie sich auf einen großen Felsen und hielt die Füße ins Wasser.
Ich nahm auf einem anderen Felsen Platz und kühlte mir ebenfalls die Füße im Fluss.
»Ich heiße Cristo.«
»Und ich Maria.«
Das hätte ich mir denken können. Maria war bei den Indios der häufigste christliche Mädchenname, da sie ihn ständig in der Kirche hörten. Das Mädchen war etwas jünger als ich, vielleicht fünfzehn oder sechzehn, und schien recht unglücklich zu sein. »Du siehst ziemlich traurig aus«, meinte ich.
»Ich heirate in ein paar Tagen«, erwiderte sie.
»Aber das ist doch ein Grund zum Feiern. Magst du deinen zukünftigen Ehemann nicht?«
Sie zuckte die Achseln. »Er ist schon in Ordnung und wird für mich sorgen. Das ist nicht der Grund. Es ist nur, dass mein Bruder und mein Onkel so widerwärtig sind.«
Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch. »Was kümmern dich dein Onkel und dein Bruder? Schließlich musst du die ja nicht heiraten.«
»Natürlich nicht. Aber mein Vater ist tot, und ich muss mit ihnen schlafen.«
Ich wäre fast von meinem Felsen gefallen. »Was? Du musst mit deinem eigenen Onkel und mit deinem Bruder schlafen?«
»Si. Sie halten sich an die alten Sitten.«
»Ich kenne keine Aztekensitte, die den Inzest gestattet«, widersprach ich aufgeregt. »So etwas hätte bei den Azteken als Gotteslästerung gegolten.«
»Wir sind keine Mexicas. Unser Stamm ist viel älter als die Azteken. Und in diesem Dorf sorgen unsere Ältesten dafür, dass wir die Traditionen befolgen.«
»Was ist das für eine Tradition, die von dir verlangt, mit deinem Onkel und mit deinem Bruder ins Bett zu gehen?«
»Ich muss ja nicht mit beiden ins Bett. Aber
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