Das Blut der Azteken
mit Schlamm bespritzt in unser Lager zurückkehrte, war die Nacht so schwarz wie die Augen des naualli. Ich traf niemanden an. Wahrscheinlich hatten Mateo und José beschlossen, die regnerische Nacht beim Kartenspiel in einem Gasthaus zu verbringen. Und der Zauberer saß sicher bei seinem Freund, dem Traumdeuter, in dessen Hütte.
D a kein Feuer brannte, an dem ic h mich hätte wärmen können, rollte ich mich, in feuchte Decken gewickelt, zitternd unter einem Baum zusammen. Ich hatte mein Messer in der Hand, bereit, sofort zuzustoßen, falls jemand - oder etwas - mich angreifen sollte. Die Dürre war vorbei. Tlaloc, der Regengott, war mit dem Opfer offenbar sehr zufrieden gewesen.
Als ich Mateo und José am nächsten Morgen zum Tempel führte, regnete es immer noch. Ich saß hinten auf Mateos Pferd. Da ich mich geweigert hatte, den Tempel hinaufzuklettern, wartete ich unten und hielt das Pferd und Josés Maultier am Zügel, während die beiden sich an den Aufstieg machten.
»Ist es sehr schrecklich?«, rief ich zu ihnen hinauf. »Haben sie ihm das Herz aus dem Leibe gerissen?«
Mateo nickte. »Ja, und die Leiche haben sie zurückgelassen.« Er bückte sich und richtete sich wieder auf. »Hier, sieh selbst.«
Er warf etwas zu mir hinunter, das vor meinen Füßen landete. Es war die Leiche eines Affen.
Als er die Tempelstufen hinunter kam, war er so wütend, dass ich zurückwich. Er drohte mir mit dem Finger. »Wenn du mich noch einmal mit Zwergenerscheinungen belästigst, schneide ich dir die Nase ab.«
55
Obwohl ich viel auf den Straßen von Veracruz gelernt hatte, war ich noch immer viel zu leichtgläubig. Diese schlichten Dorfbewohner waren offenbar noch gerissener als ein lépero. Allmählich kam ich zu dem Schluss, dass es Zeit war zu verschwinden. Es fiel mir zwar schwer, den Zauberer zu verlassen, den ich liebte wie einen Vater. Doch ich wusste nicht, was mir bevorstand, wenn Don Julio erfuhr, dass wir versagt hatten.
Gerade grübelte ich über meine missliche Lage nach, als das Mädchen, mit dem ich geschlafen hatte, aus seiner Hütte kam. Sie warf mir einen viel sagenden Blick zu und verschwand im Gebüsch. Ich folgte ihr, allerdings nicht nur um mein körperliches Verlangen zu stillen, sondern um sie anschließend zu Mateo zu schleppen und sie zu zwingen, ihm alles über die Opferungen, an denen sich ihr Onkel und ihr Bruder mit dem naualli beteiligten, zu erzählen.
Ich war erst ein paar Meter weit gekommen, als ich um mich herum Geräusche hörte. Der Onkel des Mädchens sprang hinter einem Baum hervor und stellte sich mir, einen Dolch aus Obsidian in der Hand, in den Weg. Als ich mich umdrehte, um davonzulaufen, war ich von Indios umzingelt. Sie packten mich und warfen mich zu Boden. Während drei von ihnen mich festhielten, näherte sich ein anderer mit einem Knüppel. Er holte aus und ließ den Knüppel auf mich niedersausen.
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Hände und Füße an eine lange Stange gefesselt und verschnürt wie das Schwein des naualli, trugen sie mich auf den Schultern durch den Dschungel. Sie hatten mich sogar geknebelt, damit ich nicht um Hilfe rufen konnte. Zuerst nahm ich nur undeutlich wahr, was geschah, doch ich kam rasch wieder zu Bewusstsein. Der Schlag mit dem Knüppel hatte nur das Ziel verfolgt, mich zu betäuben, und nicht, mir den Schädel zu zerschmettern. Sie wollten nicht, dass ich besinnungslos war, denn sie führten etwas mit mir im Schilde, das ihnen nur Vergnügen bereiten würde, wenn ich wach war und alles miterlebte.
Am Fuß des Tempels legten sie mich auf den Boden. Der naualli beugte sich über mich. Er trug eine Maske aus Menschenhaut, die vermutlich von einem früheren Opfer stammte.
Die übrigen Männer waren als Jaguarritter gekleidet. Masken aus Jaguarfell verbargen ihre Gesichter.
Ich schrie ihnen entgegen, sie seien Feiglinge, da sie sich hinter Masken versteckten, um ihre Gräueltaten zu begehen. Doch der Knebel verwandelte meine Worte in ein unverständliches Genuschel.
Der naualli kauerte sich neben mich. Er öffnete einen kleinen Beutel und entnahm ihm eine Prise von einem Pulver. Dann klemmte einer der Ritter meinen Kopf zwischen seine Knie, sodass mir der naualli das Pulver ins Nasenloch streuen konnte. Ich nieste, und als ich Luft holte, streute er mir noch etwas Pulver in die Nase.
Ein Brennen breitete sich in meinem Gehirn aus, ähnlich dem, als der Zaubertrank in Teotihuacan mich zu den Göttern geschickt hatte. Dann ließ das Brennen nach, und ein warmes
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