Das Blut der Azteken
für sie aussah, als bewegten sich Reiter und Pferd im Gleichtakt, vermuteten sie, dass es sich um ein einziges Wesen handelte und dass diese beängstigenden Kreaturen Götter seien.
Allerdings wurde der Untergang des Aztekenreiches nicht von Cortés' Landung eingeläutet. Er hatte bereits vor vielen hundert Jahren begonnen, als die Azteken noch umherziehende Barbaren gewesen waren, die sich in Tierhäute hüllten und rohes Fleisch aßen. Als Montezuma die Bilderschrift sah, war er sehr beunruhigt. Bei Cortés' Ankunft war er zweiundfünfzig Jahre alt, und nun rief die Nachricht seine seit zehn Jahren schwelenden Ängste und Vermutungen wieder in ihm wach. Seine Untertanen befürchteten, dass nun ein Jahrhundertealter Mythos seine Erfüllung finden würde: die Wiederkehr von Quetzalcóatl, der Gefiederten Schlange.
Schon zehn Jahre vor dem Eintreffen der Spanier hatten sich die unheilvollen Vorzeichen gehäuft. Ein Komet mit Feuerschweif hatte sich am Himmel gezeigt, Erdbeben erschütterten das Land, und der große Vulkan Popocatépetl, der Rauchende Berg, hatte Feuer gespuckt.
Doch das schrecklichste Ereignis war das Aufbäumen der Wasser des Sees Texcoco, der Tenochtitlán umgab. Ohne Vorwarnung und auch ohne dass es stark geregnet hätte, stieg das Wasser plötzlich wie von Zauberhand an, überschwemmte die Inselstadt und riss viele Gebäude mit sich.
Auf die Flut folgte ein Feuer, als ohne erkennbaren Grund Flammen aus einem der Türme des großen Tempels von Tenochtitlán schlugen und sämtlichen Löschversuchen widerstanden.
Am nächtlichen Himmel wurden drei Kometen beobachtet. Dann, kurz vor der Landung der Spanier, erhob sich im Osten ein seltsames goldenes Licht. Es leuchtete wie die Mitternachtssonne und hatte dieselbe Pyramidenform wie ein Aztekentempel. Die Schreiber hielten fest, das Feuer darin habe so heftig gebrannt, dass es aussah, als sei es randvoll mit Sternen. Bruder Antonio hatte mir erklärt, nach Ansicht kirchlicher Gelehrter habe es sich bei diesem Ereignis um einen Vulkanausbruch gehandelt. Allerdings ragten über dem Tal von Mexiko einige der höchsten und gefährlichsten Vulkane der Welt auf, weshalb man eigentlich davon ausgehen musste, dass die Azteken den Unterschied zwischen einem Vulkanausbruch und einem himmlischen Leuchten kannten.
All diese Erscheinungen hatten Montezuma sehr in Angst versetzt. Deshalb nahm er bei Cortés Landung an, Quetzalcóatl sei zurückgekehrt, um sein Königreich einzufordern. Quetzalcóatls Stadt Tula hatte sich inzwischen in eine Geisterstadt aus verlassenen Steintempeln verwandelt, denn sie war schon vor vielen hundert Jahren von den einmarschierenden Horden der Barbaren, unter ihnen die Azteken, zerstört worden. Doch Montezuma glaubte, er könne Quetzalcóatl mit einer Tributzahlung von Gütern und menschlichen Herzen dafür entschädigen, dass die Azteken Tula dem Erdboden gleichgemacht hatten.
Anstatt die Neuankömmlinge mit seiner militärischen Übermacht ins Meer zurückzutreiben, ließ sich Montezuma von Angst und Aberglauben leiten und schickte einen Gesandten, der Cortés begrüßen und ihm Geschenke bringen sollte. Aber er verbot dem Spanier, nach Tenochtitlán zu kommen.
Cortés und seine Männer ließen sich allerdings nicht dadurch besänftigen, dass man sie mit Geschenken aus Gold anstatt mit Waffengewalt empfing. Stattdessen wurde ihre Habgier nur weiter geschürt.
Doch auf dem Weg zu den Schätzen der Azteken mussten die Spanier noch eine hohe Hürde nehmen. Mittlerweile war ihnen klar geworden, dass sie es nicht mit einem Stammeshäuptling zu tun hatten, sondern mit dem Herrscher eines riesigen Reiches, dessen Größe und Bevölkerungszahl die der meisten europäischen Länder übertrafen. Die Spanier waren zwar waffenmäßig überlegen, mussten sich aber einer Übermacht von tausend zu eins stellen. Wenn die Azteken angriffen, würden sie allein wegen ihrer Überzahl siegen.
Als die Männer zu verzagen begannen, beging Cortés eine Verzweiflungstat, denn er wollte unbedingt Gold und Ruhm erringen: Er verbrannte seine Schiffe.
Nun hatten seine Männer nur noch zwei Möglichkeiten - zu kämpfen oder zu sterben. Etwa sechshundert Seeleute und Soldaten standen, mit dem Rücken zum Wasser, am Strand. Wenn sie überleben wollten, mussten sie die Armee eines Landes besiegen, das über eine Bevölkerung von mehreren Millionen Menschen verfügte.
Man kann Cortés so manches vorwerfen. Er war ein Schürzenjäger, ein Sklaventreiber,
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