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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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weil ich keinen Vater habe, fällt die Pflicht an einen männlichen Verwandten.«
    »Und wann schläfst du dann mit deinem Mann?«
    »Erst in der Nacht darauf. Gibt es diese Sitte bei euch nicht?«
    »Natürlich nicht, das ist Gotteslästerung. Wenn die Priester davon erfahren, wird euer ganzes Dorf streng bestraft werden. Hast du noch nie von der Heiligen Inquisition gehört?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Bei uns gibt es keinen Priester. Die nächste christliche Kirche ist fast zwei Stunden Fußweg entfernt.«
    »Und welchen Zweck hat diese alte Sitte?«
    »Sicherzustellen, dass die Ehe nicht die Götter beleidigt. Wenn mein Mann mich entjungfern würde, wären die Götter verärgert und könnten uns schlimme Dinge antun. Ich sehe dir an, dass dir diese Sitte nicht gefällt«, fügte sie hinzu.
    Ich empfand sie als barbarisch, wollte aber das junge Mädchen nicht kränken, das schließlich damit leben musste. »Und was hältst du selbst davon, mit deinem Onkel oder mit deinem Bruder ins Bett zu gehen?«
    »Sie sind so hässlich. Im Dorf gibt es andere Männer, bei denen ich nichts dagegen hätte, aber die beiden…« Sie ließ die Füße ins Wasser baumeln. »Ich könnte mir aber vorstellen, mit dir zu schlafen.«
    Ich hatte keine Einwände. Wir suchten uns ein Plätzchen im weichen Gras und zogen unsere Kleider aus… Danach stellte ich ihr noch ein paar Fragen über die ›alten Sitten‹, an die man sich im Dorf hielt. Ich wusste, dass ihre männlichen Verwandten Anhänger des naualli waren. Doch da ich ihr keine Angst einjagen wollte, ließ ich sie frei reden, bevor ich auf die Opferrituale zu sprechen kam.
    »Es gibt eine alte Pyramide«, sagte sie. »Die Götter haben sie aufgestellt, lange bevor Menschen in diesem Tal lebten. Wenn der naualli kommt, gehen die Männer des Dorfes dorthin und opfern auf alte Weise Blut.«
    »Wie genau tun sie das?«, erkundigte ich mich bemüht beiläufig.
    »Sie schneiden sich in die Arme und Beine. Einmal im Jahr opfern sie das Blut eines anderen Menschen. Diesmal war es ein Zwerg.«
    Ich zwang mich, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. »Wann wurde der Zwerg geopfert?«
    »Letzte Nacht.«
    Um Himmels willen! Also hatte ich, was den Zwergwüchsigen anging, doch Recht gehabt. Mit sanftem Druck brachte ich sie dazu, mir den Tempel zu zeigen, in dem der arme Wicht geopfert worden war.
    Sie führte mich tief in den Tropenwald hinein. Je weiter wir gingen, desto dichter wurde das Dickicht. Die meisten alten Kultstätten der Indios in Neuspanien waren bereits vom Dschungel verschlungen worden. War ein Gebäude frei von Bewuchs, schlossen die spanischen Priester daraus, dass der Tempel noch benutzt wurde.
    Nachdem wir etwa eine halbe Stunde gegangen waren, blieb sie stehen und zeigte mit dem Finger. »Da drüben, noch ein paar hundert Schritte. Weiter darf ich nicht.«
    Sie eilte den Weg zurück, den wir gekommen waren. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Es war schon später Nachmittag, und die Dämmerung setzte bald ein. Schwarze Regenwolken hingen am Himmel. Bald würde es regnen und dunkel werden. Und ich hatte genauso wenig Lust wie sie, mich nach Einbruch der Nacht im Dschungel herumzutreiben.
    Langsam pirschte ich mich auf die Pyramide zu, hielt die Augen offen und spitzte die Ohren. Da ich nun allein war und der Himmel sich immer mehr verfinsterte, schwanden mein Mut und meine Begeisterung. Anfangs war ich davon ausgegangen, dass niemand sich am Tempel aufhalten würde, da die Opferung schließlich letzte Nacht stattgefunden hatte. Doch mittlerweile fürchtete ich, dass vielleicht nur der Wunsch Vater des Gedankens war.
    Als die Pyramide in Sicht kam, blieb ich stehen und lauschte. Ich hörte nichts als den auffrischenden Wind, der in den Blättern raschelte.
    Die Seiten des Tempels waren von Schlingpflanzen überwuchert, doch der Bewuchs auf den Steinstufen, die nach oben führten, war beseitigt worden.
    Während ich auf den Tempel zuschlich, begann es zu nieseln, und als ich auf der untersten Stufe stand, prasselte sintflutartiger Regen vom Himmel. Ich stieg die Stufen hinauf.
    Als ich drei Viertel des Weges hinter mir hatte, plätscherte ein kleines Rinnsal zu mir herab. Entsetzt und voller Angst starrte ich auf das Wasser: Es war blutrot.
    Ich machte kehrt und rannte die Stufen hinunter. Fast war ich unten angelangt, als ich stolperte, das Gleichgewicht verlor und zu Boden purzelte. Wie von einem Wer-Jaguar gejagt, lief ich durch die Dunkelheit.
    Als ich nass und

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