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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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löschten und die Schätze von Neuspanien an Bord nahmen.
    Während Mexiko-Stadt, von meinen Vorfahren, den Azteken, Tenochtitlán genannt, mit seinen Kanälen, Prachtstraßen und den Palästen der Wohlhabenden als Venedig der Neuen Welt galt, war Veracruz der Umschlagplatz, wo alle Reichtümer vorübergehend zwischengelagert wurden. Der Wohlstand der Kolonie traf in Form von unverarbeitetem Silber und Gold sowie Fässern mit Rum und Sirup hier ein, um auf die Schatzflotte verladen zu werden. Diese brachte die Waren nach Sevilla und zum König in Madrid. Selbstverständlich bekam unsere Stadt des wahren Kreuzes nichts von diesen Reichtümern ab, auch wenn diese zum Greifen nah schienen. Veracruz war und blieb ein pestverseuchtes, von Hitze und Stürmen geplagtes Dreckloch.
    Die Stadt selbst war in ständigem Zerfall begriffen. Ihre aus Holz, Lehmziegeln und grobem Putz bestehenden Gebäude waren sehr reparaturbedürftig. Häufig wurden sie von Stürmen zum Einsturz gebracht oder von Bränden zerstört, sodass die Stadt sich immer wieder neu erschuf wie ein Phönix.
    Dennoch traf die Flotte, eskortiert von einigen Kriegsschiffen, jedes Jahr ein, und in diesem Jahr bedeutete ihre Ankunft eine noch größere Sensation als sonst. An Bord des Flaggschiffs des Admirals befand sich der kürzlich ernannte Erzbischof von Neuspanien, der zweitmächtigste Mann der Kolonie, der dem Vizekönig beinahe gleichgestellt war. Falls dieser starb, erkrankte oder abberufen wurde, übernahm der Erzbischof häufig die Amtsgeschäfte, bis der König einen Nachfolger bestimmte.
    Hunderte von Priestern, Mönchen und Nonnen aus ganz Neuspanien waren zum Hafen geströmt, um den Erzbischof zu begrüßen. In den Straßen wimmelte es von Ordensleuten, die in ihren derben grauen und schwarzen Kutten ziemlich schwitzten. Hinzu kamen Horden von Kaufleuten, die sich hier aufhielten, um ihre Waren von den Schiffen abzuholen und sie zum großen Markt in Jalapa zu bringen.
    Dennoch war es nicht einfach, um Almosen zu betteln, denn die Straßen waren überfüllt, die Leute von den Ereignissen abgelenkt. Allerdings war ich nicht auf den Kopf gefallen. Ein alter Mann aus Ostindien, der krank in unserer Herberge gelegen hatte, hatte mir beigebracht, mich zu verrenken, eine Kunst, die ich bald perfekt beherrschte. Indem ich meine Gelenke entspannte, konnte ich Ellenbogen, Knie und Schultern auskugeln, mich in die unbeschreiblichsten Stellungen verbiegen und in einen abstoßenden Krüppel verwandeln.
    Als ein Kaufmann und seine Frau an meinem Hauseingang vorbeikamen, kroch ich wimmernd hervor. Die beiden schnappten nach Luft, und während sie versuchten, einen Bogen um mich zu machen, streifte ich das Kleid der Frau und schluchzte wie immer: »Ein Almosen für einen armen, verwaisten Krüppel.«
    Die Frau wäre fast in Ohnmacht gefallen.
    »Gib ihm Geld!«, schrie sie ihren Mann an.
    Der Mann warf mir eine Kupfermünze zu. Sie verfehlte den Korb, den ich um den Hals trug, und traf mein rechtes Auge. Ich griff mit der nicht verkrümmten Hand danach, bevor sich die anderen Straßenjungen darauf stürzen konnten.
    Dann streckte ich rasch meine Gliedmaßen.
    Hätte ich mich meines Lebens schämen sollen? Vielleicht. Doch es war meine einzige Möglichkeit. Bruder Antonio tat für mich, was er konnte, doch er hatte mir keine bessere Zukunft zu bieten als ein Bett aus Stroh hinter einem schmutzigen Vorhang.
    Plötzlich ließ mich ein Stoß von hinten vornübertaumeln.
    Ein hochmütiger Caballero mit einer atemberaubend schönen Mulattin am Arm stieg über mich hinweg, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Für ihn war ich weniger wert als ein Hund. Er war Sporenträger, ich ein Stück Dreck. Doch trotz meines zarten Alters galt meine Aufmerksamkeit eher der traumhaft anziehenden Frau an seiner Seite als seinem Schwert und seinem hochfahrenden Gebaren. Sie war gewiss die Tochter eines spanischen Vaters und einer afrikanischen Mutter; ihr Vater war vermutlich Sklavenhalter, ihre Mutter gehörte zu seinen Arbeitstieren.
    Auch die Mulattin stieg über mich hinweg und schwang neckisch die Hüften, dass ihr auffälliges rotes Kleid flatterte, die parfümierten Brüste hüpften und ihr das dichte, rot gefärbte Haar lässig über die Schultern schwang. Sie blickte sich um und bedachte mich mit einem verächtlichen Lächeln.
    Ich konnte nicht anders, als sie zu bewundern. Wie Mestizinnen und Indiofrauen war auch Mulattinnen europäische Kleidung verboten. Doch während

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