Das Blut der Azteken
Gespräch zwischen ihr und Don Julio in der Bibliothek entnahm ich, dass sie in Mexiko-Stadt weit über ihre Verhältnisse gelebt hatte und gekommen war, um mehr Geld zu fordern. Der Don war verärgert, denn Isabella verlangte eine recht beträchtliche Summe. Sie hatte das Haushaltsgeld für ein Jahr binnen weniger Monate durchgebracht, einen ziemlich hohen Betrag, da das Haus über viel Personal verfügte und Isabella gern im Luxus schwelgte.
Anfangs behauptete sie, das Geld sei ihr gestohlen worden. Doch als der Don sie befragte, gab sie zu, den Verlust weder beim Vizekönig noch sonst irgendwo gemeldet zu haben. Don Julio glaubte ihr kein Wort, war ihr gegenüber jedoch ebenso machtlos wie wir alle.
Drei Tage nach Isabellas Ankunft konnte ich zufällig einen Blick auf sie im Evaskostüm erhaschen. Auf der Suche nach einem bestimmten Buch war ich in den Vorraum neben dem Schlafzimmer des Don gegangen und stand plötzlich vor Isabella, die von der Taille aufwärts nackt war. Sie lag in einer kleinen Badewanne. Das dampfende Wasser duftete nach Rosen.
Ich war wie vom Donner gerührt, doch Isabella sah mich nur an und machte sich nicht einmal die Mühe, sich zu bedecken. »Du bist ein hübscher Junge«, sagte sie. »Aber du solltest diesen grässlichen Bart abnehmen.«
Entsetzt ergriff ich die Flucht.
»Sie ist die Frau des Dons«, schärfte Mateo mir ein. »Wir müssen sie achten und dürfen sie nicht begehren. Man lässt die Finger von der Frau eines Freundes.«
Mateos Tonfall war so eindringlich, dass ich schon befürchtete, er könnte mich lüsterner Gedanken verdächtigen. Ich fand das seltsam. Mateo hatte Dutzenden von Männern die Frau ausgespannt, weshalb es mich wunderte, dass er bei der Gattin eines Freundes so strenge Maßstäbe anlegte. Solche feinen Unterscheidungen gehörten jedoch zu dem Regelwerk, das ich lernen musste, den Grundsätzen der hombría, welche streng über Ehrenkodex und Liebesdinge wachten. Ein richtiger Mann liebte viele Frauen - aber nur auf ehrbare Weise. Die Gattin eines Freundes war tabu, alle anderen Frauen hingegen waren Freiwild.
Für Frauen gab es vergleichbare Vorschriften. Ein Mädchen musste als Jungfrau in die Ehe gehen und durfte sich danach nicht mehr in Versuchung führen lassen. Ja, meine Damen, doch schließlich habe ich nie behauptet, dass es im Leben gerecht zugeht. Häufig fühlte sich Mateo auf der Hacienda wie ein Gefangener. Er war ein Mann der Tat, und es langweilte ihn, Viehhirten herumzukommandieren. Manchmal verschwand er wochenlang, und wenn er zurückkehrte, waren seine Kleider zerrissen und Schrammen bedeckten seinen Körper, als habe er mit einem Rudel wilder Hunde gekämpft.
5
Isabella hielt sich schon seit einer Woche auf der Hacienda auf, als sie verkündete, sie wolle einem geselligen Beisammensein auf einer anderen Hacienda beiwohnen. Don Julio erwiderte, er müsse einen Kranken versorgen, dessen Namen und genaues Leiden ich allerdings nie herausfand. Weil es sich nicht schickte, dass Mateo, ein berüchtigter Pícaro, die Gattin des Dons zu einem Besuch begleitete, fiel die Aufgabe an mich, den Vetter des Don.
»Deine Ausbildung dauert nun schon zwei Jahre«, meinte der Don zu mir, nachdem er mir mitgeteilt hatte, dass ich zu Isabellas Begleiter auserkoren war. »Doch bis jetzt konntest du das Gelernte nur auf der Hacienda anwenden. Da du dich nicht für immer hier verkriechen kannst, musst du herausfinden, ob es dir gelingt, dich auch in Gegenwart meiner Standesgenossen wie ein Herr zu betragen. Betrachte es als Prüfung. Isabella ist nicht leicht zufrieden zu stellen und verlangt mehr Aufmerksamkeit als eine Königin.«
Als ich später am Nachmittag in die Bibliothek kam, fuhr der Don, der sich gerade über ein seltsames Gerät beugte, erschrocken hoch. Es handelte sich um ein Messingrohr, das zu beiden Seiten mit Glas ummantelt war und auf Beinen aus Metall stand. Sofort deckte der Don es zu.
Zunächst schien er zu zögern, doch nachdem er mir meine Anweisungen Isbella betreffend erteilt hatte, nahm er das Tuch wieder weg. Er wirkte so aufgeregt wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bekommen hat.
»Das ist ein Fernrohr«, sagte er. »Es wurde in Italien entwickelt, wo ein Astronom namens Galileo damit die Planeten am Himmel beobachtet hat. Er hat ein Buch mit dem Titel Sidereus Nuncius, Der Sternenbote, geschrieben, in dem er seine Entdeckungen schildert.«
»Und was sieht man, wenn man in dieses Fernrohr hineinschaut?«
»Den
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