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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Mestizinnen und Indigenas sich in schlichte, formlose Gewänder aus weißer grober Baumwolle hüllten, waren die Kleider der Mulattinnen so prächtig wie die mit leuchtenden Federn besetzten Umhänge der Aztekenpriester. Diese hier trug einen langen bauschigen Rock mit hinter ihr her wehenden Bändern. Ihre Jacke lag so eng an wie ein Mieder und war mit Perlen und Goldfäden verziert. Die Ärmel waren weit, unten offen und mit silbrig schimmernder Seide besetzt. Doch am meisten faszinierten mich ihre dunklen Brüste; sie wurden nur von den langen, gewundenen roten Haarzöpfen bedeckt, in die sie kunstvoll goldene und silberne Fäden geflochten hatte. Immer wieder lugten die Brustwarzen aus ihrem Versteck hervor, um einen kurzen Blick auf die Umgebung zu werfen und sich dann wieder diskret zurückzuziehen.
    Auf diesem Gebiet hatten Mulattinnen mehr Freiheiten als Damen von hoher Geburt. Hätte eine Spanierin es gewagt, so ihre Nacktheit zur Schau zu stellen, sie wäre sicher ausgepeitscht worden. Mulattinnen hingegen galten als wertvoller Besitz, nicht als Menschen.
    »Meine Glaubensbrüder«, sagte Bruder Antonio einmal zu mir, »beklagen es, dass so viele Männer die Mulattinnen ihren Ehefrauen vorziehen. Allerdings habe ich häufig beobachtet, dass auch sie durch die Hintertür der Kirche Besuch von diesen reizenden Geschöpfen erhalten.«
    Dennoch stieß es mir sauer auf, dass der Caballero mich beiseite gerempelt hatte. Straßenjungen wurden behandelt wie Ungeziefer, doch mich machte es noch wütender als meine Schicksalsgenossen, weil ich gebildet war. Und das war mehr, als die meisten Spanier und ihre in Seide gehüllten Damen selbst diejenigen, die in Palästen wohnten -von sich behaupten konnten. Ich konnte nicht nur Spanisch lesen und schreiben, sondern beherrschte auch fließend Náhuatl, die Sprache meiner Vorfahren. Darüber hinaus war ich des Lateinischen und des Griechischen mächtig. Ich hatte die Klassiker in drei Sprachen gelesen und am Hafen verschiedene Redewendungen in weiteren sieben Sprachen aufgeschnappt. Meine Auffassungsgabe für Fremdsprachen war so ausgezeichnet, dass der gute Bruder Antonio mich manchmal seinen ›kleinen Papagei‹ nannte.
    Selbstverständlich hatte mir Bruder Antonio streng verboten, meine Fähigkeiten anderen zu offenbaren.
    »Verrate nie, was du weißt«, hatte er mich schon in der ersten Unterrichtsstunde gewarnt. »Die Inquisition wird nie glauben, dass ein lépero lesen lernen kann, ohne dass der Teufel dabei seine Hand im Spiel hat. Und dasselbe gilt für diejenigen, die léperos im Lesen unterweisen.«
    Diese Warnungen waren mir so in Fleisch und Blut übergegangen wie amo, amas, amat.
    Der Bruder hatte mir auch - mittels der Klassiker - erklärt, wie falsch es war, dass die Sporenträger der Herkunft einer Person solche Bedeutung beimaßen. Der Wert eines Menschen werde nicht durch die Abstammung bestimmt. Durch die richtige Unterweisung könne auch ein Mestize ein Bildungsniveau erreichen wie der reinblütigste Don in Spanien - oder diesen sogar übertreffen. Und ich sei der lebende Beweis dafür.
    Doch wie die Indios, die ihren Hass hinter steinernen, gleichmütigen Mienen verbergen, unterdrückte auch ich meine Wut. Dennoch war ich mir ständig dessen bewusst, dass die Sporenträger mir nicht überlegen waren. Hätte ich nur Silber und Gold, eine prächtige Kutsche, die prunkvolle Kleidung eines Caballero, ein Schwert und eine Mulattin als Geliebte gehabt, dann wäre auch ich ein angesehener Mann und Sporenträger gewesen.
    Ein junges spanisches Mädchen, das ein grünes fließendes, mit Seide besetztes Kleid trug, trat aus dem nahe gelegenen Laden eines Goldschmieds. Ich ging auf sie zu, um sie abzufangen und ihr den Krüppel vorzuspielen, dann aber sah ich ihr Gesicht. Ihre Augen ließen mich mitten im Schritt innehalten, und ich war nicht mehr in der Lage, mich auf Händen und Knien zu winden und den Idioten zu mimen. Genauso gut hätte ich versuchen können, den Lauf der Sonne anzuhalten.
    Sie hatte dunkle, von Trauer erfüllte Augen. Ihr Gesicht hatte die sanfte Blässe der vornehmen Damen, die ihre Haut niemals der Sonne aussetzten. Ihr Haar war lang, schwarz schimmernd und fiel ihr in üppigen Wellen über die Schultern. Sie war nur ein Mädchen, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich, doch ihre Haltung wirkte majestätisch. In ein paar Jahren würden sich spanische Adlige ihretwegen duellieren.
    Selbst in Neuspanien behandelten Caballeros

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