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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ich, ein armer lépero, in der Lage bin, bei Gott Anstoß zu erregen, stecken wir alle in größeren Schwierigkeiten, als ich dachte.«
    Beatriz legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Das ist eine der vielen Eigenschaften, die ich an dir bewundere, Cristóbal. Du hast überhaupt keine Moral.«
    »Ich denke nur praktisch.«
    Ich war ihr nicht böse, denn wir spielten dieses Spiel häufig. Es machte ihr Spaß, mich zu necken und aufzuziehen, um mich zu einer Retourkutsche zu reizen, denn sie fand alles, was ich sagte, komisch.
    Der alte Mann aus Ostindien, der mir beigebracht hatte, mich zu verrenken, hatte auch meine Lebenseinstellung beeinflusst. Er war kein Anhänger des Christentums, glaubte stattdessen an unzählige Götter und Göttinnen und verkündete häufig, wir würden Leben um Leben in einer endlosen Reihe von Wiedergeburten auf die Erde zurückkehren. Die Gerechtigkeit war in seinen Augen nichts weiter als ein finsterer Spieler, der das Schicksal unserer Seelen auswürfelte und unsere Bestimmung durch das Drehen eines karmischen Rads ermittelte. Das Dasein an sich sei nur Illusion - die Erde, der Tod, das Leben, das Karma, die Nachwelt, ja, sogar der finstere Würfelspieler und der Glaube selbst.
    »Der beste Weg, all das Chaos, die Falschheit und den Schmerz zu ertragen, ist, sein wahres Ich hinter einer Maske zu verbergen«, pflegte er zu sagen. »Die Maske mag lachen und schreien, toben und weinen, doch das Gesicht dahinter, dein wahres Antlitz, ist gleichmütig, unbewegt, herzlos und leer.«
    Er erzählte mir auch von Shiva, dem Gott der Schöpfung und Zerstörung. Er hatte die Welt vielmals aufgebaut und anschließend vernichtet und würde es wieder tun, und zwar eher, als wir glaubten.
    Das erinnerte mich an die Legenden meiner aztekischen Vorfahren, die ich von Schlangenblume und der Frau, die ich einmal Mutter genannt hatte, kannte. Auch viele Indiogötter aus grauer Vorzeit hatten die Erde immer wieder erschaffen und zerstört, und jede neue Welt war ein ›Sonnenzyklus‹. Schlangenblume hatte mir erklärt, dass unsere umnachtete Welt eines Tages in Flammen untergehen würde.
    Und ich hatte auch von Homers Land der Toten gehört, seinen Elysischen Feldern und den Göttern in der Höhe.
    Aber ich behielt dieses Wissen für mich.
    Allerdings lauschte ich dem alten Mann gebannt und lernte viel dazu. Nicht nur aus den Geschichten von seinen Göttern, sondern auch einiges über die geheimen Künste des sagenumwobenen Orients - Gelassenheit, Durchhaltevermögen, Meditation, Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen und die Fähigkeit, meinen Körper zu verrenken. Stundenlang übte ich mich als Schlangenmensch, und irgendwann war ich so gelenkig wie mein Lehrer.
    Die Menge teilte sich, um der gewaltigen Prozession von Priestern, Mönchen und Nonnen Platz zu machen, die auf das Ufer zuhielt. Die meisten Geistlichen trugen Kutten aus grobem Sackleinen, das aus Ziegenhaar, Wolle oder Hanf gesponnen war. Die Farbe - weiß, grau, braun oder schwarz - zeigte, welchem Orden sie angehörten. Um die Taille hatten sie Gürtel aus Seilen geknotet. An ihren Hälsen baumelten hölzerne Rosenkränze, und sie hielten Kreuze in der Hand. Die Kapuzen hatten sie über den Kopf gezogen, und die meisten trugen Sandalen aus Hanf, die beim Marschieren Staub aufwirbelten. Außerdem schien unter ihnen ein Wettbewerb um die schäbigste Kutte ausgebrochen zu sein. Einige der Gewänder sahen aus, als würden sie ihrem Träger jeden Moment vom Leibe fallen. Auch die körperliche Reinlichkeit bedeutete ihnen offenbar nicht viel, denn Kutten und Gesichter waren mit Schweiß und Schmutz bedeckt.
    Bruder Antonio hatte einst zu ihnen gehört und sich wie sie der Demut, den guten Werken und der Armut verschrieben. Allerdings hatten einige der Priester und Mönche diesen Grundsätzen anscheinend abgeschworen; sie ritten auf Pferden, waren in Hemden aus feinem Leinen und in seidene Strümpfe gewandet, ließen die ihren Klöstern angeschlossenen Haciendas von Sklaven bewirtschaften und lebten wie die Könige auf Kosten der Indios, deren Seelen sie doch angeblich retten wollten.
    »Die Neue Welt wurde nicht nur mit dem Schwert, sondern auch von einer Armee von Priestern erobert«, hatte Bruder Antonio mir einmal erklärt. »Die meisten haben alles gegeben, was sie besaßen, sogar ihr Leben, um das Kreuz Christi in dieses heidnische Land zu bringen. Doch die Bösen unter ihnen hüllen sich in Seide und treiben ihre Schäfchen an wie

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