Das Blut der Azteken
Lasttiere.«
»Nur des schnöden Mammons wegen«, merkte ich an.
Bruder Antonio nickte bedrückt. »Und wenn ein Priester seine Gemeinde ausplündert wie ein Wolf auf Beutezug, versündigt er sich gegen Gott.«
Eine gewaltige Zahl von Priestern und Nonnen strömte an mir vorbei. Aus ganz Neuspanien waren die Geistlichen zusammengekommen, um sich darin zu übertreffen, dem neuen Erzbischof zuzujubeln. Ihre Gesänge stiegen mit dem Staub in die heiße Luft auf.
Die Kreuze vor sich gestreckt, sangen sie beim Marschieren das ›Te Deum‹:
Dich, Gott,
loben wir.
Dich, Herr,
preisen wir.
Dir, dem ewigen Vater,
huldigt das Erdenrund.
Die Geistlichkeit beherrschte die Mitte der Straße, während sich die Bevölkerung am Straßenrand drängte. Kaufleute, Großgrundbesitzer, Ärzte, Rechtsanwälte, Pflanzer, Schmiede, Wirte, Soldaten, Mulattinnen, afrikanische Sklaven, Straßenjungen wie ich, Räuber, Taschendiebe und Huren. Die Menschen warteten auf die Post, auf Geld von Verwandten oder auf lange vermisste Freunde. Mestizinnen und Indigenas, die mit Seeleuten verheiratet waren, konnten ihre Ehemänner nur einmal im Jahr sehen, wenn die Schiffe entladen, instand gesetzt, gestrichen und neu ausgestattet wurden. Hinzu kamen die vielen Schaulustigen, wie ich einer war.
Weitere Schiffe fuhren in den Hafen ein und machten fest. Die königlichen Zollinspektoren und die Vertreter der Heiligen Inquisition waren in Langbooten hinausgerudert worden. Sie befanden sich inzwischen an Bord, um sämtliche Waren und das Gepäck - vielleicht mit Ausnahme von dem des Erzbischofs und seines Gefolges - in Augenschein zu nehmen. Die Inquisitoren beschlagnahmten alle Schriften, die die Lehre der Kirche kritisierten oder Gott lästerten.
Dann machte die Menge einer weiteren Kolonne Platz. Drei Packpferde trotteten an uns vorbei. Hinter jedem Reiter waren große Tonkrüge in mit Stroh gepolsterten Hanfkörben befestigt. Diese enthielten Schnee vom großen Vulkan Citlaltépetl, dem höchsten Berg Neuspaniens. Der Schnee wurde zusammen mit aromatischen Kräutern und Zucker in Krüge gefüllt und eilig von dem etwa hundertfünfzig Kilometer entfernten Berg nach Veracruz gebracht, wo man ihn als Delikatesse namens sorbete servierte. Diese Köstlichkeit war ein Geschenk der ortsansässigen Kaufleute an den Erzbischof, in der Hoffnung, dass er auf diese Weise besser vor dem gefürchteten Erbrechen geschützt sein möge.
Ich hatte keine Vorstellung davon, wie sorbete schmeckte. Noch nie hatte ich Schnee in der Hand gehalten. Und dennoch lief mir beim bloßen Gedanken das Wasser im Mund zusammen. Ein Mensch, für den man eine derart seltene Süßigkeit eigens aus den Bergen herbeibrachte, war wirklich von Glück gesegnet.
Allerdings hatte auch ich Glück, denn Beatriz verkaufte mir gestohlenes Zuckerrohr für die Hälfte des üblichen Preises.
Die Prozession der Geistlichen hatte den Hafen erreicht. Ich drängte mich nach vorne durch in der Hoffnung, dort genügend Platz für meine Krüppeldarbietung zu finden. Diese Ansammlung ernster Nonnen, die gemeinsam das ›Te Deum‹ sangen, war eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen durfte.
Die Gesänge waren feierlich, ihre Mienen verklärt und ihre Augen sehnsüchtig gen Himmel gerichtet, doch sie gaben kein sehr dankbares Publikum ab. Obwohl sie unablässig sangen und dabei immerzu lächelten, griff keine von ihnen unter die Tracht, um eine Münze oder ein Stück Brot hervorzuholen. Keine brachte mir auch nur die Spur von Nächstenliebe, Mitleid oder Mildtätigkeit entgegen. Wenn eine von ihnen in meine Richtung schaute, blickte sie durch mich hindurch, als wäre ich nicht vorhanden. Nur eine finster wirkende Mutter Oberin, die genau vor mir stand, schenkte mir Beachtung, aber nur, um mich strafend anzusehen.
Sie war so nah, dass ich schon mit dem Gedanken spielte, sie zur Strafe kräftig in den Knöchel zu beißen. Doch im nächsten Moment senkte sich ein riesiger schwarzer Stiefel auf meine scheinbar verkrüppelte Hand.
»Aua!«, schrie ich.
Als ich mich aufrappelte, packte mich ein Mann an den Haaren und zerrte mich von den Nonnen weg. Ich blickte in seine dunklen Augen und sein böses Grinsen. Einiges an ihm wies ihn als Caballero aus, als Ritter, der sein Schwert Gott und dem König geweiht hatte. Seine Aufmachung war verwegen. Auf seinem Kopf saß ein hellbrauner, breitkrempiger Hut mit einer gewaltigen schwarzen und einer roten Feder. Er trug ein Wams aus rotem Samt und
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