Das Blut der Azteken
versammelt, um den Erzbischof zu begrüßen. Zu ihrer Bewirtung waren Tische mit Speisen und Getränken aufgebaut worden.
In der obersten Reihe stand die junge Ehefrau des Alcalde und blickte zu uns herunter. Seine erste Gattin war vor kurzem an Fieber gestorben. Als die Frau bemerkte, dass wir sie betrachteten, lächelte sie meinem neuen Arbeitgeber kokett zu und bedachte ihn mit einem sehnsüchtigen Blick. Sie trug ein ausladendes, kugelförmiges Gewand, das sich majestätisch bauschte und weder zum Gehen, zum Liegen noch zum Sitzen geeignet war - lediglich dazu, die Bewunderung eines Sporenträgers zu wecken.
Ich fand das Kleid schrecklich albern, ganz im Gegensatz zu seiner Trägerin, die ich schon einmal in ihrer Kutsche hatte vorbeifahren sehen. Sie wirkte ausgesprochen sinnlich und machte auf mich den Eindruck, als könne sie sogar einen unschuldigen Heiligen verführen. Da ich mich in Begleitung von Bruder Antonio befand, merkte ich es an. Dieser wusste, wer sie war, und meinte, sie sei ›die Schlange, die Luzifer in Versuchung geführt hat‹, was in diesem Fall vermutlich stimmte. Mein neuer Herr hingegen brauchte dem Satan nicht mehr vorgestellt zu werden.
Der Fremde reichte mir ein zusammengefaltetes Stück Papier. »Bring das der Señora. Klettere unter der Tribüne durch und lass dich nicht erwischen, wenn du es ihr gibst. Falls man dich ertappt, schluck es runter.«
Ich zögerte. »Was ist?«, erkundigte er sich mit einem freundlichen Lächeln.
»Wie heißt Ihr, falls sie fragt?«
»Mateo.«
»Mateo«, wiederholte ich leise.
Er reichte mir die Münzen und beugte sich hinunter, woraufhin mir sein nach Wein und Knoblauch stinkender Atem ins Gesicht schlug. Er lächelte immerzu, selbst als er sagte: »Wenn du jemandem davon erzählst, schneide ich dir die Eier ab. Verstanden?«
Ich zweifelte nicht daran, dass er bereits eine ganze Trophäensammlung besaß.
Die Tribüne, die ich erreichen musste, bestand aus drei terrassenförmig angeordneten, mit hölzernen Tischen und Bänken versehenen Reihen. Die letzte davon befand sich gute drei Meter über dem Boden.
Der Tisch des Alcalde stand oben in der Mitte. Die Bänke waren zehn bis fünfzehn Meter lang und Decken schmückten die passenden Tische, auf denen verschiedene Speisen, Obst und Wein angeordnet waren. Unter den Sitzreihen sorgte ein Gewirr von Planken und Brettern dafür, dass das Ganze nicht zusammenstürzte.
Zwei Reales dafür, dass ich diese Zitadelle stürmte? Mein Gott, es hätte mich den Kopf und die Eier kosten können. Eigentlich hätte ich eine ganze Flotte voller Schätze verdient gehabt. Als ich mich umblickte, zog Mateo den Dolch und wies damit drohend zwischen seine Beine.
Mir wurde klar, warum er mich ausgesucht hatte. Nur ein Schlangenmensch war in der Lage, sich so zu verbiegen, dass er durch das Brettergewirr schlüpfen und hinaufklettern konnte.
Als ich außer Sichtweite war, las ich neugierig den Brief, den ich abgeben sollte.
Dein Antlitz ist in meine Seele geschrieben.
Keine Rose ist röter als deine Lippen.
Deine Augen sind in mein Herz eingebrannt.
Keine Gans ist weicher als deine Wangen.
Heute Nacht, meine Geliebte,
zu der Stunde, wenn dein Körper am wärmsten ist.
»Keine Gans ist weicher als deine Wangen?« Um Himmels willen! Der Mann hatte wirklich einen seltsamen literarischen Geschmack.
Ich schlich mich unter die Tribüne und begann mit dem Aufstieg. Einige Planken waren nicht fest angebracht, und ich musste mich ständig vergewissern, dass sie mich auch tragen würden.
Jeden Moment rechnete ich damit, dass einer der Adligen mich entdecken oder der ganze Bretterstapel über mir zusammenbrechen und alle auf der Tribüne - einschließlich meiner selbst - unter sich begraben würde.
Schließlich hatte ich die oberste Reihe erreicht und duckte mich unter den Tisch, um nicht gesehen zu werden. Ich befand mich ganz am Ende, etwa fünf Meter vom Platz der Señora entfernt, und kroch langsam auf sie zu, wobei ich mir Mühe gab, nicht die Schuhe der Herren und die Röcke der Damen zu berühren.
Ich krabbelte, bis ich ihr Kleid erkannte. Es bauschte sich wie ein gewaltiger Ballon von etwa einer Armeslänge Durchmesser in alle Richtungen. Der rosafarbene Stoff wurde von einer Konstruktion aus Rohr und Draht gehalten. Eine Frau, die ein solches Kleid trug, war nicht in der Lage, sich zu setzen, weil der Stützrahmen es nicht zuließ. Man hatte für sie ein Holzgerüst errichtet, an das sie sich lehnen
Weitere Kostenlose Bücher