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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ein elegantes Hemd aus schwarzem Leinen, dessen Ärmel sich bis zu den Handgelenken hinunter bauschten. Die Beine seiner schwarzen Samthose steckten in schwarzen, schenkelhohen Reitstiefeln aus blitzblank poliertem Schlangenleder. An seinem Gürtel hing nicht etwa ein Paradeschwert, sondern eine richtige Waffe aus Toledo-Stahl.
    Ja, er wirkte vom Scheitel bis zur Sohle wie der Inbegriff des Hochmuts. Sein rotgoldener Schnurrbart stand bedrohlich ab, sein Bart war kurz und spitz. Das gleichfarbige Haupthaar fiel ihm in dichten Locken bis über die Schultern.
    Allerdings hatte ich keinen vornehmen Caballero vor mir, der, eine Schatztruhe voller Gold zu Füßen, in einem bequemen Bett schlief. Er war nicht der jüngere Sohn eines Adligen, der beschlossen hatte, auf das Priesteramt zu verzichten und dem Gott des Krieges zu huldigen. Dieser Mann war ein bezahlter Söldner, der sich nahm, was ihm gefiel.
    Der flüchtige Eindruck, es könne sich um einen Edelmann und Ritter handeln, trog gewaltig.
    Ich wusste auf Anhieb, dass er ein Pícaro war, denn ich hatte wie alle, die es konnten - die Geschichte des berüchtigten Pícaro Guzmán de Alfarache gelesen. Später sollte ich noch von anderen legendären Pícaros erfahren, zu denen auch der Dichter und Schwertkämpfer Mateo Rosas de Oquendo gehörte.
    Ein Pícaro war ein Glücksritter, der sich mithilfe seines Verstandes und seines Schwertes durchschlug und es häufig mit dem Gesetz nicht so genau nahm. Pícaros wurden im Mutterland ebenso als Gauner verachtet wie die léperos in Neuspanien; es war ihnen sogar verboten, nach Neuspanien einzureisen. Wenn man einen von ihnen an Bord eines Schiffes entdeckte, nahm man ihn fest und schickte ihn auf die Philippinen, ein Höllenloch, in dem einem der Tod durch marodierende Banden oder Malaria gewiss war.
    Die Gründe für diese Zwangsmaßnahme waren jedoch eher finanzieller als moralischer Natur. Da Silber das Lebensblut des Mutterlandes war, wollte die Krone verhindern, dass der Nachschub durch Horden von Pícaros, die die Silbertransporte überfielen, gefährdet wurde.
    Dennoch war die Verlockung von so viel Silber und Gold nicht anders als die Gelegenheit, den in der Alten Welt wartenden Haftbefehlen und Gefängnissen zu entgehen - einfach zu groß. Trotz des Risikos, auf die Philippinen deportiert zu werden, brachten viele Schiffe Glücksritter, die sich heimlich an Bord geschlichen oder jemanden bestochen hatten und die nun, Raubgedanken im Herzen, in Veracruz eintrafen.
    Auch wenn es dem Mann, der vor mir stand, gelungen sein mochte, die Inspektoren der Krone hinters Licht zu führen, durchschaute ich ihn auf Anhieb. Er war ein Verbrecher in den Kleidern eines Caballeros. Seine Aufmachung mochte der eines Adligen entsprechen - und ich war sicher, dass der Aristokrat, dem er sie gestohlen hatte, ein hübsches Sümmchen dafür losgeworden war -, doch ich bemerkte die abgetretenen Absätze, die schäbigen Manschetten und die beschmutzten Ärmel.
    Hinzu kam das verwegene, herausfordernde Funkeln in seinen Augen; es waren die Augen eines Mannes, der einem zuerst ein Glas ausgibt, um einem anschließend die Kehle durchzuschneiden, der Hilfe und Obdach annimmt und danach die Frau und die Töchter des Hauses verführt. Ich erkannte in ihm den Mörder, Räuber, Schurken, Schürzenjäger und Söldner, der sich an den Meistbietenden verkauft. Offenbar hatte ich einen Menschen vor mir, der sich anders als die meisten von Schuldgefühlen und Angst nicht anfechten ließ und der ein Leben nach seinem eigenen Gutdünken führte. Ein Mensch also, von dem ich noch viel lernen konnte.
    Er schenkte mir ein schiefes Grinsen, das ziemlich beeindruckend war, denn es war gleichermaßen dazu geeignet, ein gefallenes Mädchen zu bekehren wie eine anständige Frau zu verführen. So sehr war ich von seinem blitzenden Goldzahn fasziniert, dass ich die beiden Reales fast nicht bemerkte, die er zwischen Daumen und Zeigefinger rieb. Natürlich war mir sofort klar, dass sein Lächeln die Aufrichtigkeit von Krokodilstränen hatte.
    »Ich habe einen Auftrag für dich, du kleiner Verrückter«, sagte er.
    »Was für einen Auftrag?«, fragte ich und starrte gebannt auf die Münzen. Zwei Reales, das war der Tageslohn eines erwachsenen Mannes und mehr, als ich je zuvor auf einmal besessen hatte.
    Der Schurke wies mit dem Kopf auf eine etwas erhöht stehende Tribüne. Unter einem Sonnensegel hatten sich der Alcalde von Veracruz und die Honoratioren der Stadt

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