Das Blut der Azteken
Straßenjungen war meistens nicht sehr hoch. Ich hatte Veracruz als fünfzehnjähriger Knabe verlassen, nun war ich ein Mann und fast doppelt so alt.
Ich warf den Bettlern ein paar Kupfermünzen zu. Gerne hätte ich sie mit einigen Silberstücken erfreut, doch damit hätte ich nur Aufmerksamkeit erregt und Diebe angelockt. Allerdings fürchtete ich mich nicht vor Entdeckung. Schließlich war ich als Junge zuletzt in Veracruz gewesen. Während meiner Jahre in Mexiko hatte ich stets einen dichten Bart und langes Haar getragen. Inzwischen war ich glatt rasiert, hatte eine Narbe im Gesicht und außerdem kurzes, frühzeitig mit grauen Strähnen durchzogenes Haar. Ich war nicht mehr Cristo el Bastarde, sondern Don Carlos, ein Caballero und der Sohn eines wichtigen Mannes, der in der Neuen Welt sein Glück machen wollte. Vielleicht würde ich ja die Tochter eines reichen Kaufmanns heiraten, der gerne eine große Mitgift dafür zahlte, einen berühmten Namen in seinem Familienstammbaum zu haben.
Doch Kleider, Geld und Frisur waren nicht der einzige Grund, warum niemand mich erkennen würde. Während der zwei Jahre in Sevilla hatte ich gelernt, mich nicht nur wie ein Spanier zu verhalten, sondern auch einer zu sein. Der Zauberer hätte sicher gesagt, dass ich nun wie ein Sporenträger roch. Ich hatte zwar eine dunklere Hautfarbe als die meisten Spanier, aber da sich auf der iberischen Halbinsel so viele Völker - von den Römern und Westgoten bis hin zu Mauren und Zigeunern - jahrhundertelang vermischt hatten, kamen von Weiß bis Milchkaffeebraun sämtliche Farbschattierungen vor. Diese Vielfalt war nur einer der Gründe, warum der Wert eines Menschen hier nach seiner Herkunft und nicht nach seinem Äußeren bemessen wurde.
Wie allen, die in diesem Gebiet unterwegs waren, war auch mir viel daran gelegen, die feuchtheiße, stickige Hafenstadt so schnell wie möglich zu verlassen und die kühle Bergregion jenseits der Dünen zu erreichen. Doch dazu brauchte ich zuerst ein Pferd, Lasttiere, Diener und Vorräte.
Ich bat den Wirt um ein Zimmer, dessen Fenster auf den Platz hinausgingen. Das Essen ließ ich mir aufs Zimmer kommen. Er bot mir zwar die Dienste einer gut gebauten Mulattin an, doch mein Kopf war voller Erinnerungen, sodass mir der Sinn nicht nach fleischlichen Vergnügungen stand. Nicht weit von hier hatte ich mitansehen müssen, wie de Alva Bruder Antonio erstach. Und ich hatte ein junges Mädchen kennen gelernt, das lesen und schreiben wollte wie ein Mann und das sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um einen Bettlerjungen zu retten, einfach nur deshalb, weil er Gedichte zitieren konnte.
Nachdem ich mir in Mexiko-Stadt ein Haus und Dienerschaft besorgt hatte, die eines Mannes von nicht unbeträchtlichem Vermögen würdig waren, würde ich mein Pferd aus Veracruz durch eines ersetzen, das noch von den vierzehn Reittieren der Eroberer abstammte. Anschließend würde ich mich auf der Alameda zeigen, nicht als in Seide gehüllter Geck, sondern als Sporenträger, der viel von der Welt gesehen und so manche Schlacht geschlagen hatte.
Der Großteil des Geldes aus dem Münzamt befand sich noch in seinem Versteck. Ich würde nur meinen Anteil nehmen und den Rest für Mateo zurücklassen. Wenn ich mich in meinem neuen Leben eingerichtet hatte, würde ich ihm schreiben und ihn fragen, ob ich ihm das Geld mit der nächsten Schatzflotte schicken sollte. Bestimmt stand er schon kurz vor dem Bankrott, obwohl wir eine beträchtliche Summe nach Sevilla mitgebracht hatten.
Nachdem die Sonne hinter den Gipfeln im Westen untergegangen war, stand ich, einen Kelch spanischen Wein in der Hand, am Fenster meines Zimmers und sah auf den Platz hinaus. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in einem komfortablen Zimmer in Veracruz guten Wein zu trinken.
Selbstverständlich schmiedete ich auch weiterhin Rachepläne und beabsichtigte, mir Ramóns und Luis' Geldgier zunutze zu machen. Diesmal wollte ich sie weder entführen noch foltern oder sie gar hinterrücks töten, denn auf diese Weise hätte ich sie nur von ihren irdischen Leiden erlöst. Sie jedoch hatten Don Julio nicht nur das Leben, sondern auch seine Ehre, sein Geld und sogar seine Familie genommen. Und das würde ich ihnen mit gleicher Münze heimzahlen. Für einen stolzen Spanier war der Verlust seiner Ehre schlimmer als der Tod.
Außerdem verfolgte ich mit meinem Rachefeldzug das Ziel, das Geheimnis zu lüften, das sich um meine Herkunft rankte.
Ich schlief unruhig und wurde von
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