Das Blut der Azteken
wissen.
»Knapp zehn Kilometer von der Stadt entfernt. In der letzten Stunde habt Ihr immer wieder die Besinnung verloren. Etwa eine Stunde weiter liegt eine Zuckerrohrplantage, die einem Bekannten gehört. Die Straße ist befestigt und kann die Kutsche tragen. Wir fahren hin, um Unterschlupf zu finden und Eure Wunde zu behandeln.« Ich war noch immer geschwächt, und der Arm tat mir höllisch weh.
Ich lockerte den Leinenknebel, den sie oberhalb der Wunde angelegt hatte, und zog den, der darauf drückte, fester an.
»Die Wunde muss mit heißen Öl gereinigt werden«, meinte sie.
»Nein, davon verschlimmert sie sich nur. Das hat ein französischer Arzt namens Paré bewiesen. Wenn sie nicht zu bluten aufhört, müssen die verletzten Venen genäht werden.«
»Seid Ihr Arzt?«
»Nein, obwohl ich über einige medizinische Kenntnisse verfüge. Mein Va… Onkel war Arzt, und ich habe ihm hin und wieder assistiert.«
Sie sah mich lange an, es war ein forschender Blick, der mich völlig in seinen Bann schlug. »Sind wir uns schon einmal begegnet? Vielleicht in Mexiko-Stadt bei einem Empfang?«
»Nein, ich bin gerade erst in Neuspanien angekommen und zum ersten Mal hier. Aber ich danke Gott, dass ich ausgerechnet Euch getroffen habe.«
»Seltsam…«
»Glaubt Ihr, mich zu kennen? Vielleicht habe ich ja einen Doppelgänger.«
»Etwas an Euch erscheint mir vertraut, aber ich kann es nicht in Worte fassen. Außerdem habt Ihr mich vorhin beim Namen genannt.«
Zum Glück musste sie sich für einen Moment abwenden, um an den Zügeln zu ziehen, denn sonst hätte sie meine erschrockene Miene sicher bemerkt. Ich fasste mich wieder und lächelte, als sie sich wieder zu mir umdrehte.
»Jemand neben dem Gasthof hat Euren Namen gerufen, als Ihr aus der Kutsche gezerrt worden seid.«
»Wahrscheinlich jemand, der mich kannte.«
»Lebt Ihr in Veracruz?«
»Nein, in Mexiko. Ich habe Freunde besucht.«
»Und Euer Gatte ist noch in Veracruz…«
»Ich bin nicht verheiratet.« Sie schwieg eine Weile. »Euer Blick sagt mir, dass Ihr Euch wundert, warum ich noch ledig bin, obwohl die meisten Frauen in meinem Alter schon einen Mann haben. Aber ich kann mich nicht entscheiden, ob ich heiraten oder eine Braut Christi werden will.«
»Überlegt Ihr Euch etwa, Nonne zu werden?«
»Ja, ich führe gerade Verhandlungen mit der Priorin der Schwestern der Gnade.«
»Nein!«
»Señor?«
»Ich denke, Ihr solltet nicht Nonne werden. Es gibt so viel Schönes im Leben…«
»Den Seelenfrieden eines Klosters würde ich in der Ehe nie finden.«
Fast wäre es aus mir herausgeplatzt, dass sie doch auch außerhalb eines Klosters Theaterstücke und Gedichte schreiben konnte, doch ich hielt den Mund. Ich durfte ihr nicht verraten, dass ich mehr über sie wusste. Wenn ich ihr enthüllte, wer ich in Wirklichkeit war, würde ich mir nur schaden. Schließlich war sie die Tochter einer angesehenen spanischen Familie und musste die Frau eines Ebenbürtigen werden. In Neuspanien gab es nur wenige, die diesen Anspruch erfüllten. Luis tat es zwar, doch mehr als eine innere Stimme sagte mir, dass sie lieber ins Kloster gehen würde, als ihn zu heiraten.
Wieder betrachtete sie mich forschend.
»Señor, ich weiß nicht, warum Ihr Euer Leben für mich aufs Spiel gesetzt habt, aber aus Gründen, die nur Ihr und der liebe Gott kennt, wurde ich weder geschändet noch getötet. Mein Onkel, der Vizekönig, wird Euch sehr dankbar sein.«
Don Diego Vélez war vor einem Jahr zum Vizekönig ernannt worden, während ich mich in Sevilla aufhielt. Ramón de Alva war nicht nur ein enger Freund von Luis, sondern auch von Don Diego. Und da Regierungsaufträge und Ämter für gewöhnlich verkauft wurden, hatte Don Diego beim Einsturz des Tunnels gewiss auch die Hände im Spiel gehabt. Wenn ja, würde Eléna darunter zu leiden haben, wenn ich mich an Alva und Luis rächte.
»Sind die Schmerzen schlimmer geworden, Señor? Ihr verzieht das Gesicht.«
»Nein, Señorita, ich habe gerade an jemanden gedacht, und das hat mich traurig gemacht.«
Sie lächelte wissend. »Ich verstehe. Ihr habt ein Stück Eures Herzens in Spanien zurückgelassen. Ich hoffe, Señor, dass Ihr anders als viele, die in die Kolonien kommen, der Dame nicht das Herz gebrochen habt.«
»Ich kann Euch versichern, Señorita, dass ich derjenige mit gebrochenem Herzen bin.«
»Vielleicht könnten wir, da wir nun Freunde sind, nicht so formell sein und uns beim Namen ansprechen. Ich heiße, wie Ihr
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