Das Blut der Azteken
verwitweter Tochter stattfinden. Mateo sagte, die Witwe, die nur ein paar Jahre älter war als ich, hielte sich nur selten im Haus auf und verbrächte die meiste Zeit bei ihrem Vater. Weiterhin schilderte Mateo die Dame als ausgesprochen reizend, und er deutete an, er werde dafür sorgen, dass sie nicht aus mangelnder Liebe frühzeitig dahinwelkte.
Nervös wartete ich im Garten. Eine ältere Indigena und ihr Mann schienen die einzigen Dienstboten im Haus zu sein. Sie hatten einen kleinen Tisch mit Süßigkeiten und Wein gedeckt. Als es dunkel wurde, zündeten sie überall im Garten Kerzen an. Das Grundstück war von hohen Mauern umschlossen und vor Blicken geschützt und eignete sich deshalb ausgezeichnet für ein geheimes Treffen mit der Frau eines anderen Mannes.
Ich fühlte mich, als stünde ich auf einer Bühne, wo gerade das Stück über die zum Scheitern verurteilten Liebenden Calisto und Melibea gegeben wurde. Dann musste ich an ein noch tragischeres Stück mit dem Titel Romeo und Julia denken, das, wie Mateo mir erklärt hatte, aus der Feder eines Engländers namens William Shakespeare stammte. Dass ich meine Feinde nicht vernichten konnte, ohne Eléna in Mitleidenschaft zu ziehen, lastete schwer auf mir. Die Schicksalsgötter würfelten um meine Seele.
Als ich die Kutsche vorfahren hörte, zuckte ich vor Anspannung zusammen.
Dann kam sie durch die Pforte, und ich stand langsam vom Brunnenrand auf. Sie trug ein schwarzes Kleid und hatte einen langen Seidenschal über Kopf und Schultern geschlungen.
»Doña Eléna.« Ich verbeugte mich.
»Don Carlos.«
Da ich nicht wusste, wohin mit meinen Händen, wies ich auf den Tisch mit den Süßigkeiten. »Unsere Gastgeberin ist nicht zu Hause, aber sie hat uns freundlicherweise einen Imbiss servieren lassen.«
»Ich kenne Doña Teodora. Sie ist eine gute Frau und kümmert sich rührend um ihren alten Vater.«
»Ich habe gehört, Ihr seid heute bei ihrem Vater gewesen.«
Sie kam näher und streckte die Hand nach mir aus. »O Carlos, ich bin ja so froh, dass Ihr nicht der Schurke seid, als den andere Euch darstellen. Euer Opfer, um den Ruf Eurer Familie zu schützen, war eines Märtyrers würdig.«
Ich nahm ihre Hand und küsste sie.
»Eléna, ich muss Euch die Wahrheit sagen.« Oder wenigstens einen Teil davon. »Ich bin nicht der Mann, für den Ihr mich haltet.«
»Das weiß ich.«
»Ihr wisst es?«
»Natürlich. Euer Freund, den ich bei Don Silvestre kennen lernte, hat mir von Eurem Bruder erzählt.«
»Nein, nein, das meine ich nicht…«
»Ja?«
Es war unmöglich. Wenn ich ehrlich zu ihr war, würde sie schreiend aus dem Haus stürzen. Aber ich konnte es nicht ertragen, mit einer Lüge zu leben. Mein ganzes bisheriges Leben war eine Lüge gewesen, und ich hätte ihr so gern meine Seele offenbart.
»Es gibt Dinge, die ich nicht preisgeben kann, weil Ihr sie nicht verstehen würdet. Einiges würde dazu führen, dass Ihr mich hasst. Doch eines muss ich Euch gestehen, und Ihr könnt mir glauben, es ist die Wahrheit. Ich liebe Euch von dem Moment an, als ich Euch zum ersten Mal gesehen habe.«
»Und ich Euch auch.«
Sie sagte das so schlicht, dass ich ganz verunsichert war.
»Verlangt Ihr, dass ich meine Gefühle verberge?«, fragte sie.
»Es ist unmöglich. Ihr seid einem anderen versprochen.«
Ich hielt immer noch ihre Hand. Als ich sie an mich zog, machte sie sich los und ging im Garten auf und ab.
»Findet Ihr es nicht seltsam«, meinte sie, »dass wir, die wir von hohem Stand sind, so viel weniger Freiheiten haben als das einfache Volk? Unser Besitz, ja, sogar unser Name hält uns gefangen. Ein Mann und eine Frau von gewöhnlichem Stand dürfen lieben und heiraten, wen sie wollen.« Sie drehte sich zu mir um. »Mein Onkel kann mich zwar zwingen, Luis zu heiraten, aber nicht, ihn auch zu lieben. Ich verabscheue Luis nicht, und ich glaube, dass er mich wirklich liebt. Er hat die Hand von Töchtern aus guter Familie abgelehnt, die über eine viel größere Mitgift verfügen und eindeutig um einiges schöner sind als ich. Doch für mich wäre eine Ehe mit ihm wie ein Gefängnis. Deshalb hatte ich mich für eine andere Art von Gefängnis, ein Kloster, entschieden. Dort hätte ich wenigstens die Möglichkeit gehabt, Bücher zu lesen und das zu schreiben, was ich in meiner Eitelkeit als Gedichte bezeichne.«
»Eure Gedichte sind wie die Gesänge von Engeln.«
»Hübsche Worte, Don Carlos, aber ich glaube nicht, dass der Ruf meiner Gedichte bis
Weitere Kostenlose Bücher