Das Blut der Azteken
in der dunklen Kutsche erleuchtet wurde. Da es auf dem Ball taghell sein würde, war es besser, wenn wir die Sehschärfe des Don hier und nicht erst in Gegenwart von Hunderten von Zeugen auf die Probe stellten.
»Was denkt Ihr, Don Silvestre?«, fragte Mateo. »Hat sich Carlos sehr verändert, seit er ein junger Bursche war?«
Der Don beugte sich vor und musterte mich. »Er gleicht seinem Vater wie ein Ei dem anderen«, meinte er. »Ich hätte ihn in einer tausendköpfigen Armee als den Sohn seines Vaters erkannt.«
Es kostete mich Beherrschung, mich nicht zu bekreuzigen und Gott laut dafür zu danken, dass der greisenhafte Caballero zu eitel war, um die Schwächen seines hohen Alters einzugestehen.
Die erste Prüfung war also überstanden. Doch ich wusste, dass sich die Schicksalsgöttinnen nicht so leicht würden überlisten lassen. Ein merkwürdiges Gefühl ergriff mich, als wir durch die Tore des Palastes fuhren. Schon immer hatte ich mich gefragt, woher ich kam, wer meine Eltern waren und warum eine verrückte alte Frau in schwarzen Kleidern mir nach dem Leben trachtete.
Bruder Antonio pflegte zu sagen, nicht erhörte Gebete seien das größte Geschenk Gottes an die Menschheit, und inzwischen verstand ich, wie weise diese Worte gewesen waren.
Denn mittlerweile befürchtete ich, Gott könnte mir meine Fragen beantworten.
9
Ich war noch nie auf einem Ball der besseren Gesellschaft gewesen. Wir wurden von einem Offizier der Wache in schneidiger Uniform empfangen, der uns zum Eingang des Palastes begleitete. Dort erwarteten uns Höflinge des Vizekönigs, die uns in den Ballsaal eskortierten.
Das Licht von Kerzen und Fackeln brach sich in den Spiegeln des Flurs zum Ballsaal.
Am Ende des Flurs öffnete sich eine Tür in den drei Stockwerke hohen Saal, in dem einige Häuser wie das, das ich gemietet hatte - einschließlich Grundstück -, Platz gefunden hätten. Wie der von Spiegeln gesäumte Flur war auch dieser Raum von Kerzen und Fackeln hell erleuchtet. Decke, Stuck und Verzierungen glänzten silbern und golden, und im ersten Moment starrte ich benommen auf all die Pracht. Es fiel mir schwer, die herablassende Gleichgültigkeit eines Adligen vorzutäuschen.
Einige hundert Gäste schlenderten trinkend und plaudernd umher. Dennoch wandten sich mir alle Blicke zu, als ich oben auf der geschwungenen Marmortreppe stehen blieb, die hinunter in den Saal führte. Noch nie im Leben hatte ich mich so fehl am Platz gefühlt, und der Schweiß trat mir aus sämtlichen Poren.
Der Vizekönig ging mir entgegen. Er vollführte eine ausladende Geste und verkündete: »Señoras, Señoritas und Caballeros, ich möchte Euch mit Don Carlos Vasquez de Monterey bekannt machen, dem Helden von Veracruz.«
Die Gäste stellten sich zu beiden Seiten des Raumes auf, sodass nur eine schmale Gasse freiblieb. Das Orchester stimmte ein Lied an. Dann nahm der Vizekönig mich am Arm und geleitete mich die Stufen hinunter, um mich durch den Saal zu führen, damit alle mich ausgiebig betrachten konnten.
Wie viele der Anwesenden würden mich wieder erkennen? War etwa einer der fetten Kaufleute dabei, die ich auf der Straße nach Jalapa ausgeraubt hatte? Vielleicht ja auch der Bischof, der meinetwegen nicht nur seiner Börse und seines Maultiers, sondern auch seiner Kleider verlustig gegangen war? Oder womöglich gar die Dame, der ich die Perlenkette vom Hals gerissen hatte?
Steifbeinig und ein gefrorenes Lächeln auf den Lippen stieg ich die Treppe hinunter. Dabei klammerte ich mich an Don Silvestres Arm, um unseren Schritt zu verlangsamen. Als mein Blick auf eine vertraute Gestalt am anderen Ende des Raums fiel, wäre ich beinahe ins Stolpern geraten.
Isabella.
Aus dem Augenwinkel sah ich etwas Rotes aufblitzen. Offenbar hatte mein Freund, der rote Caballero, die Flucht ergriffen.
Ich kämpfte den Drang nieder, mich ebenfalls aus dem Staub zu machen, schritt die Gasse entlang und nickte den lächelnden Menschen zu beiden Seiten zu. Ich wusste, dass es gleich ziemlich unangenehm werden würde, und die Angst kroch mir in alle Glieder. Isabella stand ganz am Ende der Reihe. Wenn ich vor ihr stand, würde der Teufel los sein. Es kümmerte mich nicht, dass Mateo gesagt hatte, sie würde mich ohne Bart sowieso nicht erkennen. Schließlich war sie ungewöhnlich gerissen.
Selbst mein Freund Mateo, der sich - wie er behauptete - sogar Tausenden mit Schwertern bewaffneten Heiden gestellt hatte, nahm jetzt, beim Anblick dieser Hexe, die Beine in
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