Das Blut der Azteken
ihm, doch meine Aufmerksamkeit galt weiterhin Eléna. Sie tanzte mit einem anderen Mann, und ich lächelte ihr zu, als sie vorbeiwirbelte. Auch sie schenkte mir ein kurzes Lächeln und wandte sich dann rasch ab. Es dauerte eine Weile, bis ich wieder klar denken konnte und bis mir einfiel, dass seine Mutter die alte Frau war, die mir den Tod wünschte.
»Gewiss möchte meine Mutter Euch kennen lernen, weil Luis schlecht über Euch gesprochen hat. Nehmt es nicht persönlich, falls es den Eindruck macht, als wünschte sie Euch am Galgen zu sehen. Sie hat sich genauso sehr für die Hochzeit mit Eléna eingesetzt wie Luis.«
Hätte ich die Begegnung vermeiden können? Ja, doch da ich mein halbes Leben mit der Flucht vor dem Zorn dieser Frau zugebracht hatte, zwang ich mich weiterzugehen.
Ein höhnisches Lachen kam mir über die Lippen. »Eure Mutter und Luis sind Vipern.«
Er sah mich skeptisch an. Auch wenn er sehr offen zu mir gewesen war, gehörte es sich nicht, dass ich seine Mutter beleidigte. Unter anderen Umständen hätte er mich wegen einer solchen Bemerkung zum Duell herausgefordert.
»Macht meiner Mutter keine Vorwürfe. Jede Frau, die einen Sohn wie mich geboren hat, würde Gott fragen, warum er sie so bestraft.«
Der Blick der alten Frau traf mich, als wir näher kamen. Obwohl ich mich innerlich darauf vorbereitet hatte, zuckte ich zusammen. Ich hasste die alte Frau, denn schließlich hatte sie Ramón damit beauftragt, Bruder Antonio zu töten. In meiner Erbitterung riss ich mich von Don Eduardo los. Im selben Moment sprang die alte Frau mit vor Schreck geweiteten Augen auf.
»Was ist?«, stammelte Don Eduardo.
Die alte Frau stöhnte vor Schmerz laut auf. Mit aschfahlem Gesicht und weit aufgerissenen Augen trat sie einen Schritt vor und rang nach Worten. Dann sackte sie in sich zusammen und stürzte zu Boden.
Don Eduardo lief auf sie zu und rief ihren Namen. Im nächsten Moment stand Luis neben ihr. Ich drängte mich durch die Menge, die sich sofort um sie geschart ha tte. Sie lag auf dem Boden, lehnte die angebotene Hilfe ab und winkte ihren Sohn und ihren Enkel zu sich, die sich über ihre zitternden Lippen beugten. Dann flüsterte die alte Frau ihre letzten Worte, und während sie sprach, starrten mich Don Eduardo und Luis entgeistert an.
Trotzig erwiderte ich ihren Blick. Ich wusste nicht, was sie gesagt hatte, doch mir war klar, dass ich von nun an keine Ruhe mehr finden würde. Gewiss hatte die Alte ihrem Sohn und ihrem Enkel das schreckliche Geheimnis anvertraut, das mich schon vom Tag meiner Geburt an verfolgte. Ich hatte die Worte zwar nicht verstanden, aber ich konnte sie spüren. Sie krampften mir das Herz zusammen und ließen mir die Nackenhaare zu Berge stehen.
Mein Blick wanderte von den beiden Männern, die neben der alten Frau knieten, zu dem Spiegel hinter ihnen. Ich sah mein eigenes Spiegelbild.
Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
10
Der Blick der alten Frau verfolgte mich bis in meine Träume, nachdem ich einige Stunden mit quälenden Gedanken zugebracht hatte.
Als ich vom Ball des Vizekönigs zurückkehrte, war Mateo nicht zu Hause. Bei meinem Abschied hatte wegen des Todes der alten Frau noch immer helle Aufregung geherrscht. Eléna hatte mich etwas fragen wollen, während ich mich durch die Menge drängte, aber ich hatte nicht auf sie geachtet.
Zu Hause fand ich die Nachricht vor, Mateo sei bei Don Silvestres Tochter, um sie zu ›trösten‹.
Früh am Morgen meldete mir ein Diener, Don Eduardo erwartete mich in seiner Kutsche und bäte mich, ihn auf eine Ausfahrt zu begleiten, damit wir uns aussprechen könnten. Ich hatte weder mit seinem Besuch gerechnet, noch war ich sonderlich erstaunt darüber. Die Schicksalsgöttinnen hatten entschieden. Ich stieg zu ihm in die Kutsche.
»Habt Ihr etwas dagegen, wenn wir zur Alameda fahren?«, fragte er. »Mir gefällt es dort in den kühlen Morgenstunden. Es ist so still und friedlich.«
Ich saß schweigend da, lauschte dem Rattern der Wagenräder und blickte an Don Eduardo vorbei ins Leere. Trotz der Albträume der letzten Nacht wurde ich von einer merkwürdigen Gelassenheit ergriffen. Eigentlich hatte ich mich seit meiner Flucht aus Veracruz vor vielen Jahren nicht mehr so ruhig gefühlt.
»Ihr habt mir nicht zum Tod meiner Mutter kondoliert, doch das war wahrscheinlich zu erwarten.«
Ich sah ihn an. »Eure Mutter war ein böser Mensch. Sie wird in der Hölle schmoren.«
»Ich fürchte, Cristóbal, dass wir beide
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