Das Blut der Azteken
Zauberei für alte Weiber und für Narren.«
Ach, die Torheit der Jugend. Der Faden des Schicksals ist für uns alle gewebt. Und an diesem längst vergangenen Tag auf dem Markt wurden die Knochen auch für mich geworfen, ohne dass es außer den Göttern jemand gewusst hätte. Die Freunde und Feinde, die ich mir an diesem Tag schuf, sollten mich mein Leben lang begleiten.
Das Gesicht des alten Mannes verzerrte sich zu einer widerwärtigen Fratze, dann begann er zu zischen wie eine Wildkatze. Er schwenkte eine Hand voll Knochen vor meinem Gesicht und murmelte einen Zauberspruch in einem Indiodialekt, den ich nicht verstand.
Ich trollte mich wortlos. Warum das Schicksal herausfordern?
»Mestize, man wird dir auf dem Opferstein das Herz aus dem Leibe reißen, wenn die Jaguare sich erheben.«
Diese Worte, ein kaum hörbares Flüstern hinter meinem Rücken, wurden in Náhuatl gesprochen. Als ich herumwirbelte, um festzustellen, von wem diese Drohung stammte, schlängelte sich ein Indio durchs Gewühl. Ich war sicher, dass er der Übeltäter war.
Ich eilte rasch davon, bereute meine Vorwitzigkeit und befürchtete, dadurch Unheil über mich heraufbeschworen zu haben. Es lag nicht nur an den Worten des Fremden, sondern auch an seinem hasserfüllten Tonfall.
Unter gewöhnlichen Umständen hätte mich die Bemerkung des Indios zum Lachen gebracht, denn schließlich war es nicht das erste Mal, dass ich als Mischling beschimpft wurde. Allerdings handelte es sich nun schon um die zweite Drohung innerhalb eines kurzen Zeitraums, weshalb sie mich eher zornig machte, als mich zu ängstigen.
Wutschnaubend - wegen der Beleidigung und auch deshalb, weil ich so rasch den Rückzug angetreten hatte - drängte ich mich durch die Menge. Bruder Antonio hätte das Treiben des Hellsehers als ›abergläubischen Unsinn‹ abgetan, und ein wahrer Pícaro hätte dem Schamanen eine schlagfertige Antwort gegeben -nur, dass nicht der Schamane die Drohung ausgestoßen hatte, sondern eine körperlose Stimme, deren Besitzer ich nicht kannte.
Ich machte mich auf den Weg zu den Buchständen, um Bruder Antonio und Bruder Juan zu suchen. Gewiss blätterte Bruder Antonio noch in den Bänden herum, jedoch ohne etwas zu kaufen, denn jeder Dinero, den er besaß, wurde dazu verwendet, Lebensmittel für die Armen zu beschaffen. Natürlich hätte ich jederzeit ein Buch für ihn stehlen können, aber damit wäre er sicher nicht einverstanden gewesen.
Neben einem der Buchstände sah ich Bruder Juan im Gespräch mit einem Mann. Als ich näher kam, blickte sich der Mann verstohlen um und zog den Bruder hinter die Bude.
Ich begann zu rennen, als ich den Mann erkannte - es war der Pícaro Mateo. Schließlich konnte man nicht wissen, in welche Schwierigkeiten er Bruder Juan bringen würde. Mich jedenfalls hätte meine Begegnung mit der Gemahlin des Alcalde beinahe den Kopf gekostet. Der Zwerg mochte sich noch so sehr mit den comedias und Balladen brüsten, die Mateo angeblich geschrieben und vor den gekrönten Häuptern Europas aufgeführt hatte, ich war immun gegen derartige Prahlereien und hatte einen Riecher für Hochstapler. Der gutgläubige Bruder Juan hingegen ging bei seinen Mitmenschen stets vom Besten aus und war deshalb eine leichte Beute für Mateo.
Hinter dem Stand zog Mateo ein Buch unter dem Umhang hervor und steckte es dem Bruder zu. Als ich mich vorsichtig näherte, griff er nach seinem Dolch.
»Der Junge ist der Diener eines Mönches«, erklärte Bruder Juan.
Offenbar erkannte Mateo mich nicht, was verständlich war. Léperos waren Gegenstände, keine Menschen, weshalb sich niemand die Mühe machte, sich ihre Gesichter zu merken.
Also blieb ich in demütiger Haltung stehen, spitzte aber die Ohren.
»Dieses Buch«, setzte Mateo sein Verkaufsgespräch fort, »ist ein Klassiker unter den Ritterromanzen, ein mitreißendes Epos, das sogar Amadís de Gaula und Palmerin de Oliva übertrifft. Seht selbst: der dicke Einband aus marokkanischem Leder, die elegante gotische Schrift, das kostbare Pergament - und all das für den lächerlichen Preis von zehn Pesos.«
Zehn Pesos! Ein Lösegeld für einen Papst und für die meisten Menschen ein Monatslohn -und wofür? Für einen Ritterroman, eine rührselige Geschichte von Edelmännern und ihren Damen, von getöteten Drachen, eroberten Königreichen und befreiten Fräulein. Märchen wie diese hatten Don Quijote dazu verleitet, gegen Windmühlen zu kämpfen.
Bruder Juan begutachtete das Buch liebevoll.
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