Das Blut der Azteken
wagte er nicht zu kaufen und mit sich zu führen.
Unter gewöhnlichen Umständen hätte auch ich mich auf die Bücher gestürzt, doch da ich erst fünfzehn Jahre alt war, zog mich die fremdartige Versammlung von Zauberern und Hexern, die behaupteten, Tote aufwecken, die Zukunft vorhersagen und die Sterne deuten zu können, unwiderstehlich an. Ganz in der Nähe schluckte ein Trupp Illusionisten Schwerter und brennende Fackeln.
Ein Menschenstrom wälzte sich durch die Gänge: Kaufleute und Bettelmönche, Soldaten und Seeleute, Huren und Damen, Indios und Mestizen, prächtig gekleidete Spanierinnen, Dorfvorsteher und aufreizende Afrikanerinnen und Mulattinnen.
Zwei Spanierinnen standen an einer belebten Ecke und schwenkten Tambourine. Ich erkannte sie als die beiden Tänzerinnen, die aufgetreten waren, als Mateo das Gedicht von El Cid rezitiert hatte. Ihre beiden Gefährten stellten ein Fass daneben und hoben den Zwerg hinauf.
»Freunde, hört mir zu. Bleibt stehen, und ihr werdet erlesene Darbietungen zu sehen bekommen, die bereits vor gekrönten Häuptern Europas zur Aufführung gebracht worden sind. Erinnert euch an die Zeit, als unser stolzes Land von den räuberischen Mauren überrannt wurde. Nur in einigen kleinen Königreichen hielten unsere Fürsten stand, und selbst sie mussten den Mauren Tribut bezahlen. Diese traurige Pflicht wurde nicht in Gold abgegolten, sondern in Form von Jungfrauen mit goldenem Haar, den schönsten Mädchen im Land, die alljährlich von dem verkommenen maurischen König und seinen Höflingen aufs Grausamste geschändet wurden.«
Der Zwerg fuchtelte dramatisch mit den Händen und begann, seine schauerliche Geschichte zu erzählen.
»In unserem Land gab es keinen El Cid, aber dafür eine Jungfrau, die sich der sündigen Lust der maurischen Schurken verweigerte. In einem alabasterfarbenen Gewand und mit wehenden goldenen Locken stürmte sie in den Kronsaal, wo der spanische König gerade mit seinen Rittern Hof hielt. Sie bezeichnete die Männer als Feiglinge und Memmen, die ihre Schwerter schonten, während die Blume der spanischen Ehre beschmutzt und mit Füßen getreten würde.«
Der zwergwüchsige Schauspieler betrachtete die gespannt lauschenden Männer und die empörten Frauen, die sich inzwischen versammelt hatten.
»Wisst ihr, was das schöne Mädchen den Höflingen sagte? Sie schlug vor, den spanischen Frauen das Schwert in die Hand zu geben und sie in den Kampf gegen die Ungläubigen zu schicken, wenn die Männer dazu zu schwach seien.«
Alle männlichen Zuschauer - auch Jungen wie ich schimpften lautstark über die Feigheit dieser Ritter. Die Ehre der Männer - und die Keuschheit der Frauen - galt als Spaniens größter Reichtum. Unsere Frauen den Feinden als Tribut überlassen? Nein, lieber wäre ich gestorben.
»Und nun hört zu, wie die Tänzerinnen von Las Nómadas für euch das Lied ›Der Tribut des Mädchens‹ singen.«
Während die männlichen Zuschauer eher Augen für die Tänzerinnen hatten, die ab und zu die Röcke hoben, sodass für einen Moment ihre Oberschenkel zu sehen waren, hielt der Zwerg, wie ich feststellte, Ausschau nach Inquisitoren und anderen Priestern. Die Frauen stimmten ihr Lied an:
Wenn die Mauren Opfer fordern, opfert unser Männer Blut.
Statt im Nichtstun zu verharren, zahlt mit eurem Schwert Tribut.
Wollt ihr fortan mit Mädchen zahlen, so seid euch eines eingedenk,
dass jedes dieser schönen Mädchen den Mauren weit're Söhne s chenkt.
Dass Männer sich verstecken, ist närrisch doch und dumm.
Solange Mädchen müssen zieh'n, wenn ihre Zeit ist um,
hinfort, weit in die Fremde, die Mauren warten schon.
Und uns're eignen Männer, die machen sich davon.
Nur in der Frauen Herzen, da wohnt der wahre Mut.
Ihr edlen Caballeros seid eine feige Brut.
So sprach die Señorita…
Der Text des Liedes war zwar ziemlich harmlos, doch die Gebärden der Frauen, die immer wieder innehielten, um im Flüsterton zu schildern, was einer spanischen Jungfrau von einem Mauren drohte, hätten durchaus für eine Verhaftung genügt.
Als die tanzenden Frauen die Röcke hoch über ihre Köpfe wirbeln ließen, zeigte sich, dass sie darunter splitternackt waren. Gebannt starrte ich auf den geheimen Garten zwischen ihren Beinen, den ich erst vor kurzem kennen gelernt hatte. Natürlich gerieten die Männer unter den Zuschauern außer Rand und Band und warfen Geld in die Hüte.
»Pssst!«, zischte der Zwerg. »Vorsicht!«
Die Frauen hatten die
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