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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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verspotteten und Mauren niedermetzelten, während sich ihre Gatten zu Hause versteckten. Sie fürchteten sich vor nichts und niemandem. Kein Mann im Publikum, außer er wäre sturzbetrunken gewesen, hätte es gewagt, eine von ihnen zu berühren. Und sie hätte es ihm auch nie gestattet, denn sie wusste, dass diese Männer ihr nicht das Wasser reichen konnten.
    Als ich begann, mich mehr für Frauen zu interessieren als für Zauberer und Schwertschlucker, fühlte ich mich stets von denen angezogen, die sich ihrer eigenen Stärke bewusst waren.
    Allerdings bedeuteten diese Frauen häufig eine Gefahr, und selbst ich - so arglos ich damals auch noch war - ahnte, dass ich mich dem Krater eines rauchenden Vulkans näherte, der jeden Augenblick ausbrechen konnte, wenn ich mich mit einer von ihnen einließ.

16
    Als die Frauen - von den Priestern mit Argusaugen beobachtet - ihr frommes Lied und ihren Tanz beendet hatten, wandte sich der Zwerg wieder an die Zuschauer.
    »Zur besonderen Unterhaltung aller Anwesenden werden wir eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit eine comedia aufführen.«
    Das Publikum raunte. Eine comedia war ein Theaterstück, also eine Komödie, eine Tragödie oder eine Abenteuergeschichte. Da ich noch nie ein Theaterstück gesehen hatte, klopfte mir vor Aufregung das Herz. Ich fragte mich, ob es sich um dieselbe Darbietung handelte, die sie bereits in Veracruz angekündigt hatten.
    »Wenn ihr erleben wollt, wie ein Pirat bestraft und der gute Name eines Ehrenmannes wiederhergestellt wird, kommt zur comedia.« Mit einer ausladenden Geste wies er auf Mateo, der sich durch die Menge geschoben und neben dem Fass des Zwerges aufgebaut hatte. »Unsere comedia stammt aus der Feder dieses großen Meisters der Bühne, dessen Werke schon in Madrid und Sevilla selbst vor Mitgliedern des Königshauses zur Aufführung gebracht worden sind: Mateo Rosas de Oquendo.«
    Mateo lüpfte den Hut und vollführte eine elegante Verbeugung.
    »Der Eintritt zu diesem Meisterwerk«, fuhr der Zwerg fort, »beträgt nur einen Real.«
    Ha! Ich war sogar stolzer Besitzer von ganzen zwei Reales, die ich vom Verfasser dieser comedia persönlich erhalten hatte. Also konnte ich tafeln wie ein König und mir außerdem das Stück ansehen. Gott war gut zu mir. Mein Leben war wundervoll, dachte ich in diesem Moment und vergaß ganz, dass es in jedem Paradies eine Schlange gibt.
    Mein weiterer Streifzug führte mich in den Teil des Marktes, wo indianische Hexer und Zauberer ihre magischen Künste zum Besten gaben.
    Ich blieb stehen und beobachtete einen Hellseher, der den Leuten die Zukunft vorhersagte. Er war ein finster dreinblickender langhaariger Indio, der einen Umhang in sündigem Rot trug. Abstoßende Narben bedeckten seine Wangen, und sein Gesicht war mit feuergelben und blutroten gezackten Streifen bemalt. Der Hellseher saß im Schneidersitz auf einer Decke, schüttelte ein Dutzend Knochenstückchen in einem Totenschädel und warf sie wie Würfel auf eine Decke. Aus dem Muster, das sie bildeten, las er den zukünftigen Lebensweg eines Menschen ab. In den Straßen von Veracruz hatte ich oft beobachtet, wie Hellseher die Zukunft aus Knochenstücken vorhersagten. Nun fragte ein Indio den Hellseher, was denn aus seinem Vater werden würde, der einen schweren Unfall erlitten hatte.
    Ohne eine Miene zu verziehen, erkundigte sich der Hellseher gleichmütig nach dem Aztekennamen und dem Geburtszeichen des Mannes.
    Nachdem der Mann ihm eine Münze gegeben hatte, schüttelte der Wahrsager die Knochen in dem Schädel und warf sie auf die schmutzige Decke. Die Knochenstücke bildeten ein mehr oder weniger längliches Muster.
    »Die Form des Grabes«, erklärte er dem Indio. »Dein Vater wird die Mühen des Lebens bald hinter sich lassen.«
    Ich konnte mir ein höhnisches Schnauben nicht verkneifen. Der alte Betrüger drehte sich um und betrachtete mich drohend. Wäre ich ein Indiojunge gewesen, ich wäre unter seinem finsteren Blick erstarrt. Doch ich war ein lépero und verfügte über klassische Bildung. Nein, ich war ein Pícaro, denn als solcher sah ich mich inzwischen, und diese neue Selbsteinschätzung machte mich kühn. Ich hätte weitergehen und das Schicksal nicht herausfordern sollen, doch meine Neugier war geweckt. Also verspottete ich ihn mit dem Hochmut eines Odysseus, der die Zyklopen herausfordert.
    »Die Zukunft eines Menschen lässt sich nicht bestimmen, indem man alte Knochen wirft«, behauptete ich hochmütig. »Das ist

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