Das Blut der Azteken
»Es sieht nicht aus wie Pergament…«
»Ich gebe Euch mein Ehrenwort als Edelmann, dass dieses Papier an den ehrwürdigen Ufern des Nils hergestellt und für den persönlichen Gebrauch des heiligen Königs in Madrid über das Mittelmeer gebracht wurde. Nur ausgesprochen glücklichen Umständen habe ich es zu verdanken, dass das Kunstwerk in meine Hände, also in die eines Kenners, geriet.«
»Am Nil stellt man Papyrus her, kein Pergament«, wandte ich ein.
Der Pícaro warf mir einen finsteren Blick zu und drehte sich wieder zu Bruder Juan um. Der Mönch studierte inzwischen den blumigen Titel des Werkes.
»Chronik der bemerkenswerten drei Ritter der Tafelrunde von Barcelona, welche zehntausend schnaubende Mauren und fünf Grauen erregende Ungeheuer bezwangen, dem rechtmäßigen König zum Thron von Konstantinopel verhalfen und einen Schatz eroberten, wie ihn kein König der Christenheit je besessen hat.«
Ich lachte höhnisch auf. »Der Titel ist ein Scherz, und das gilt für das ganze Buch. In Don Quijote von Cervantes werden diese Ritterromanzen als das bloßgestellt, was sie in Wirklichkeit sind. Nur ein Narr würde freiwillig dieses Geschwätz lesen. Und nur ein Dummkopf würde es schreiben.«
Peinlich berührt gab Bruder Juan Mateo das Buch zurück und eilte davon.
Ich wollte ihm gerade nachlaufen, als ich Mateos leise Stimme hörte: »Mein Junge.«
Ich drehte mich um, und seine Hand umfasste, blitzartig wie eine Schlange, meine Kehle. Dann riss er mich an sich und hielt mir den Dolch zwischen die Beine.
»Ich kastriere dich wie einen Stier, du dreckiges Halbblut.«
Die Spitze des Dolches bohrte sich in meine Haut, und ein wenig Blut rann mir das Bein hinab. Seine Augen waren weit aufgerissen wie die eines vor Schmerz wahnsinnigen Tieres. Ich wagte nicht einmal, ihn um Gnade anzuflehen.
Er stieß mich zu Boden. »Ich schlitze dir lieber doch nicht die Kehle auf, denn ich will mir nicht mit dem Blut eines Hurensohns die Hände schmutzig machen.« Er zog sein Schwert, und die funkelnde Klinge hob sich hoch über meinen
Kopf, sodass ich schon glaubte, dass er ihn mir abschlagen würde. Doch die Spitze des Schwertes blieb über meinem Adamsapfel stehen.
»Du hast von dem Hurensohn gesprochen, der die Sage von Don Quijote geschrieben hat. Wenn du seinen Namen noch einmal erwähnst - den Namen dieses Schweins, das die Geschichten, Gedanken, die Seele und das Leben eines anderen ausgeplündert hat, nämlich das meine -, werde ich dir nicht nur den Kopf abschlagen, sondern dir davor ganz langsam die Haut abziehen.« Mit diesen Worten verschwand der Wahnsinnige, während ich wie benommen zum Himmel starrte.
Ach, was hatte ich getan? Ich hatte Mateo zwar das Geschäft verdorben, doch er war erst außer sich geraten, als er den Namen Cervantes hörte. Plötzlich dämmerte mir, dass dieser Verrückte womöglich selbst der Verfasser dieses lächerlichen Romans war.
Um Himmels willen! Ob Bruder Antonio mir mehr über die indische Religion erzählen konnte, nach deren Lehre jeder Mensch für die Sünden eines früheren Lebens bestraft wird? Vermutlich hatte ich tausend Seelen dem Höllenfeuer überantwortet, um solche Leiden zu verdienen.
Selbstverständlich behauptete der Bruder stets, ich selbst würde besagte Leiden über mich bringen, weil ich einfach nicht schweigen konnte. Er gab sich die Schuld an meinem losen Mundwerk, und das war gar nicht so falsch. Schließlich hatte er mich mit den Werken des unermüdlichen Skeptikers Sokrates bekannt gemacht. Dieser hatte alles infrage gestellt, und die abscheuliche Angewohnheit hatte sich auf mich übertragen wie eine ansteckende Krankheit.
Zum Glück wurde ich in meinem unsteten Dasein nur selten von derartigen Erleuchtungen überkommen. Wer den Lebensweg eines lépero beschreitet, darf sich nicht von der Wahrheit leiten lassen - denn es gibt Wahrheiten, die niemand ertragen kann.
Ich klopfte mir den Staub von den Kleidern und kehrte ein wenig ernüchtert zum Markt zurück.
17
Eine Stunde vor Sonnenuntergang zog ich los, um mir das Stück anzusehen.
Als Bühne diente eine Lichtung, auf der zum Schutz vor den Blicken von Zaungästen Decken zwischen den Bäumen aufgespannt worden waren. Da das Gelände ein wenig abschüssig war, standen die Schauspieler ein Stück erhöht.
Ich suchte mir einen guten Aussichtspunkt, indem ich auf einen Baum kletterte, sodass ich über die Decken spähen konnte und eine kostenlose Privatloge besaß. Natürlich bedachte mich
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