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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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beiden Frauen schien schon ziemlich alt zu sein.
    Das Mädchen, mit dem ich gesprochen hatte, hieß Eléna. Der Tonfall der älteren Frau war herrisch.
    Der Junge schickte sich an, ein Gepäckstück unter dem Sitz zu verstauen, wo ich mich versteckte, doch das Mädchen hielt ihn zurück. »Nein, Luis, dort ist schon alles voll. Leg es unter den anderen.«
    Zum Glück gehorchte der Junge.
    Luis saß neben Eléna, die beiden Frauen hatten sich auf der Bank über mir niedergelassen. Nachdem alle Platz genommen hatten, machte sich die Kutsche auf den Weg über die kopfsteingepflasterte Straße. Während das Gefährt dahinrumpelte, tadelte die alte Frau Eléna für Bemerkungen, die das Mädchen offenbar zuvor gemacht hatte.
    Bald wurde mir klar, dass Eléna nicht mit den anderen verwandt war. Die Frauen waren die Mutter und die Großmutter von Luis. Den Namen der älteren Frau verstand ich nicht.
    Wie bei adeligen spanischen Familien üblich, war trotz ihres jungen Alters bereits eine Ehe zwischen Eléna und Luis angebahnt worden, eine vermeintlich gute Partie für sie, obwohl ich ganz anderer Ansicht war. Außerdem schien die alte Frau gegen alles, was Eléna sagte, etwas einzuwenden zu haben.
    »Gestern Abend beim Essen hast du etwas geäußert, das Doña Juana und mich sehr bestürzt hat«, meinte die alte Frau. »Du sagtest tatsächlich, du wolltest dich, wenn du erst alt genug seist, als Mann verkleiden und an der Universität studieren.«
    Oho! Das war ein gewagtes Ansinnen für ein junges Mädchen, ja, überhaupt für eine Frau. Frauen war das Studium verboten, und selbst Damen aus gutem Hause konnten häufig nicht lesen.
    »Männer sind nicht die einzigen, die über Verstand verfügen«, widersprach Eléna. »Auch Frauen sollten die Welt der Bildung kennen lernen.«
    »Die einzige Welt einer Frau ist ihr Ehemann, ihre Kinder und ihr Haushalt«, tadelte die alte Frau streng. »Bildung würde ihr nur Flausen in den Kopf setzen und sie mit unnützen Dingen belasten. Ich für meinen Teil bin froh darüber, dass uns der Kopf nie mit Buchwissen vollgepfropft wurde.«
    »Soll das unser ganzes Leben sein?«, fragte Eléna. »Sind wir nur dazu gut, Kinder zu gebären und Brot zu backen? War nicht eine der größten Königinnen in der Geschichte Spaniens, unsere geliebte Isabella, eine Frau? Hat die Kriegerin namens Johanna von Orleans nicht die französischen Heere zum Sieg geführt? Die englische Königin Elisabeth saß auf dem Thron dieser kalten Insel, als unsere ruhmreiche Armada…«
    Ein scharfer Knall ertönte, und Eléna schrie auf.
    »Du unverschämtes Gör. Ich werde Don Diego von deinen unschicklichen Bemerkungen berichten. Wie bei uns allen hat Gott auch deinen Platz im Leben bestimmt. Wenn dein Onkel dir das nicht beigebracht hat, wirst du es bald nach deiner Hochzeit lernen, denn dann wird dein Gatte es dir mit dem Riemen einprügeln.«
    »Kein Mann wird mich jemals schlagen«, protestierte Eléna trotzig.
    Wieder ein Klatschen, doch diesmal blieb Eléna stumm. Wie gerne hätte ich neben Eléna gesessen. Ich hätte der Alten eine Ohrfeige verpasst, die sie niemals vergessen hätte.
    »Um Himmels willen, sie ist doch nur ein Mädchen und hat den Kopf voller alberner Hirngespinste«, sagte die andere Frau.
    »Dann ist es an der Zeit, dass sie begreift, was sich für eine Frau schickt. Was für eine Gattin wird sie Luis sein, wenn ihr solche Dummheiten im Kopf herumspuken?«
    »Ich heirate, wen ich will.«
    Wieder ein Schlag. Dieses Mädchen hatte wirklich Mut.
    »Du redest nur noch, wenn du gefragt wirst. Hast du verstanden? Ich will kein Wort mehr von dir hören.«
    In diesem Moment ließ Luis ein hinterhältiges, böswilliges Kichern vernehmen. Offenbar bereitete ihm das Unbehagen seiner zukünftigen Braut Vergnügen.
    »Don Ramón hat mir erklärt, wie man mit einer Frau umgehen muss«, verkündete er. »Und glaubt mir, ich werde es nicht an einer starken Hand fehlen lassen.«
    Als ich Ramóns Namen hörte, zuckte ich so heftig zusammen, dass ich mich fast verraten hätte.
    »Er hat mir gesagt, sie seien wie Pferde«, fuhr Luis fort, »beim Zureiten dürfe man die Peitsche nicht vergessen.«
    Die ältere Frau lachte, und das Kichern der Mutter verwandelte sich in ein raues, krampfartiges Husten. Ich kannte dieses Geräusch, das auf der Straße das ›Rasseln des Todes‹ genannt wurde. Eines Tages würde sie Blut spucken und wenig später sterben.
    Eléna nahm diesen Spott mit eisigem Schweigen auf. Dieses

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