Das Blut der Azteken
Mädchen hatte wirklich Temperament. Wenn Luis glaubte, sie zureiten zu können, würde er sein blaues Wunder erleben.
»Ich habe von deiner verheirateten Base gehört, dass du Gedichte geschrieben hast, Eléna«, ergriff die alte Frau wieder das Wort. »Sie sagt, die Familie sei empört. Wenn wir dich nach deinem Besuch zu Don Diego zurückbringen, werde ich diese und andere Angelegenheiten mit ihm erörtern. Deine absonderlichen Neigungen sind ein Zeichen von Teufelswerk, nicht von der Hand Gottes. Und wenn nötig, werde ich den Teufel persönlich aus dir herausprügeln.«
An den Seiten von Luis' Stiefeln prangte das in Silber geprägte Familienwappen: ein Schild mit einer Rose, einem Schwert und einem zur Faust geballten Kettenhandschuh. Das Wappen kam mir bekannt vor; allerdings besaßen viele wohlhabende Spanier eines.
Inzwischen hatten wir die gepflasterten Straßen der Stadt verlassen und befanden uns auf dem sandigen Weg nach Jalapa, der durch die Dünen und Sümpfe führte. Die Straße war zwar mit Holzbohlen verstärkt, würde die Kutsche aber nicht mehr lange tragen können. Die Bergausläufer waren für ein Gefährt, das größer war als ein Eselskarren, nicht passierbar.
Ich wusste nicht, wohin die Reise ging. Vielleicht gar nach Mexiko-Stadt. Doch ganz gleich, was auch das Ziel war, man würde sicher nicht lange mit der Kutsche weiterfahren, sondern entweder in einer Sänfte oder zu Pferde Weiterreisen müssen.
Als ich gerade einzunicken begann, rief der Kutscher, dass wir von Soldaten aufgehalten würden.
»Wir überprüfen alle Reisenden, die die Stadt verlassen«, sagte einer von ihnen. »Ein berüchtigter lépero und Dieb hat kaltblütig einen beliebten Priester ermordet. Offenbar hat der Geistliche ihn beim Stehlen ertappt.«
Juanita schnappte nach Luft, und ich sah, dass Eléna die Beine anspannte. Die schreckliche Anschuldigung stellte ihr Gewissen auf die Probe. Die Worte von Bruder Antonio hallten mir in den Ohren: Wenn sie dich fangen, kann nichts dich retten.
»Ist man sicher, dass er es war?«, fragte Eléna. Offenbar war sie so erschrocken, dass sie sogar den Befehl der alten Frau missachtete zu schweigen.
»Aber natürlich. Das weiß doch jeder. Er hat auch früher schon gemordet.«
»Wird er vor Gericht gestellt, wenn man ihn fängt?«, erkundigte sie sich.
Der Mann lachte auf. »Vor Gericht? Er ist ein Mestize, ein Halbblut, ein lépero. Wenn der Alcalde gnädig ist, wird er ihn vor der Hinrichtung nicht zu streng foltern lassen.«
»Wie sieht er denn aus?«, wollte Eléna wissen.
»Wie der Leibhaftige selbst. Größer als ich mit einem abscheulichen Gesicht und einem grausamen Blick. Wer ihm in die Augen sieht, erkennt das Grinsen des Teufels. Und seine Zähne ähneln denen eines Krokodils. Ja, er ist wirklich ein Bösewicht.«
»Er ist doch nur ein Junge!«, rief Eléna aus.
»Wartet«, befahl der Soldat dem Kutscher. »Ein Reiter winkt Euch zu.«
Ich hörte, wie das Pferd des Soldaten sich von der Kutsche entfernte. »Woher wusstest du, dass es ein Junge ist?«, fragte die alte Frau Eléna.
Bei dieser Frage erstarrte ich vor Angst und hätte fast laut nach Luft geschnappt.
»Ach, die Männer haben neben der Kutsche darüber gesprochen, als ich herauskam.«
»Und warum stellst du so viele Fragen?«
»Ich… ich war nur neugierig. Als ich auf euch wartete, hat mich ein lépero- Junge angebettelt.«
»Hoffentlich hast du ihm kein Geld gegeben«, sagte Juanita. »Diesen Leuten zu helfen ist, als würde man die Ratten füttern, die unser Getreide stehlen.«
Hufgetrappel näherte sich der Kutsche.
»Buenos días, meine Herrschaften.«
»Ramón!«, rief Luis aus.
»Buenos días, Don Ramón«, hörte ich die Großmutter sagen.
Das Herz klopfte mir bis zum Halse, und beinahe wäre ich schreiend unter dem Sitz hervorgestürmt. Der Mörder von Bruder Antonio war hier. Von allen lausenden Ramóns auf dieser Welt musste ausgerechnet dieser mich verfolgen wie ein Schatten.
»Wie läuft Eure Jagd?«, erkundigte sich die alte Frau.
Woher wusste sie, dass Ramón mich suchte?
Ich brauchte nicht einmal den Kopf unter dem Sitz hervorzustrecken, um zu wissen, dass ihr Kleid so schwarz wie Ebenholz und nicht einmal mit einem Hauch von weißer Spitze an den Ärmeln besetzt war. Eine alte Hexe, die ihr Witwengewand als Ehrenzeichen trug -und als Symbol ihrer Autorität.
Nun erinnerte ich mich, wo ich das Wappen auf Luis' Stiefeln schon einmal gesehen hatte: auf der Kutschentür
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