Das Blut der Azteken
und ich.
Der Markt mit den Waren aus Manila war zwar nicht so groß wie der in Jalapa, dafür aber umso exotischer. Am aufregendsten erschienen mir die Gewürze: Pfeffer, Zimt und Muskat. Der Geruch dieser Spezereien war verlockend und führte mich, den gelernten Dieb, arg in Versuchung. In all den Jahren mit dem Zauberer hatte ich die schlechten Gewohnheiten nicht völlig abgelegt, die ich auf den Straßen von Veracruz angenommen hatte. Der Zauberer hatte mir zwar ein paar neue Tricks beigebracht… doch ich hatte die alten nicht vergessen.
Da die Waren aus dem Fernen Osten so neu und seltsam für mich waren, streifte ich mit aufgerissenen Augen umher. Ich kaufte eine Prise Zimt, dessen fremdartigen Geschmack der Zauberer und ich uns auf der Zungenspitze zergehen ließen.
Doch es gab Wichtigeres zu tun. Der Markt dauerte nur wenige Tage, und wir hatten einen weiten Weg zurückgelegt und mussten in kurzer Zeit viel Geld verdienen, damit sich die Reise auch gelohnt hatte.
Der Zauberer war gekommen, um seine magische Heilkunst zu praktizieren, und ich war sein Helfer. Wenn es nicht viel zu tun gab, spielte ich gern den Kranken, um eine Menschenmenge anzulocken, und klagte lautstark über Schmerzen oder ein Klingeln im Kopf. Nachdem sich genügend Leute versammelt hatten, murmelte der Zauberer ein paar Sprüche und zog mir eine Schlange aus dem Ohr. Wenn die Menschen Zeugen dieser wundersamen Heilung wurden, fand sich meistens auch jemand, der bereit war, sich gegen Bezahlung ebenfalls kurieren zu lassen. Jedoch behandelte der Zauberer nicht jeden, der sich meldete. Er nahm nur Patienten an, denen er auch helfen zu können glaubte. Und er lehnte die Bezahlung ab, wenn der Betreffende es sich nicht leisten konnte. Folglich wurden wir nicht reich dabei, zumal es sich bei den Patienten hauptsächlich um Indios handelte, in deren Taschen nur Kupfermünzen klimperten. Häufig fand die Entlohnung auch in Form von Kakaobohnen oder eines kleinen Beutels mit Mais statt. Wie der römische Gott Janus hatte auch der Zauberer zwei Gesichter. Die Schlangen waren nur ein Trick, die Heilerfolge hingegen echt.
Meine Arme und Beine waren noch immer sehr gelenkig, und ich übte mich im Geheimen weiterhin in der Kunst, meine Gliedmaßen zu verrenken, auch wenn ich in der Öffentlichkeit nicht mehr den Krüppel spielte, um Almosen zu erbetteln. Das war zu gefährlich, denn vielleicht wusste Ramón, der Mörder von Bruder Antonio, ja, dass ich diese Fähigkeit besaß. Aber eines Tages stellte ich sie unabsichtlich doch zur Schau.
Die Geschäfte liefen besser, wenn der Zauberer ein wenig erhöht Platz nehmen konnte. Diesmal hatten wir uns einen felsigen, etwa anderthalb Meter hohen Hügel gesichert. Das Gelände war dicht mit Schlingpflanzen und anderem Gestrüpp überwuchert. Ich hatte eine Fläche gerodet, die groß genug für den Zauberer und seine Patienten war.
Während einer Darbietung, zu der sich eine Menge versammelt hatte, um mitzuerleben, wie einem Mann eine Schlange aus dem Ohr gezogen wurde, trat der ängstliche Patient versehentlich die Pfeife des Zauberers um. Diese fiel zwischen die Schlingpflanzen, die seitlich den Hügel hinunterwuchsen. Rasch rappelte ich mich auf, um sie zu holen, schlüpfte zwischen die Schlingpflanzen und wand und krümmte mich dabei wie eine Schlange.
Als ich wieder zum Vorschein kam, bemerkte ich einen Spanier, der mich anstarrte. Der Mann war nicht wie ein Kaufmann oder ein Aufseher einer Hacienda gekleidet, sondern wie ein Caballero. Allerdings trug er nicht die prächtige Aufmachung, in der seinesgleichen auf den Straßen flanierte, sondern Reisekleidung aus dickem Stoff und Leder. Der Spanier hatte ein hartes, finsteres Gesicht und einen grausamen Zug um den Mund. Während er mich betrachtete, trat ein anderer Mann neben ihn, und ich hätte fast laut nach Luft geschnappt.
Es war Mateo, der Pícaro, der auf dem Markt von Jalapa das Theaterstück aufgeführt hatte.
Der finster dreinblickende Spanier sprach mit Mateo, und dann sahen mich die beiden fragend an. Dem Pícaro war nicht anzumerken, ob er mich erkannt hatte. Doch seit unserer letzten Begegnung waren drei Jahre vergangen, eine lange Zeit für einen mageren fünfzehnjährigen Bettlerjungen. Ich hatte keine Ahnung, ob er sich an mich erinnerte. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er mir das Leben gerettet und einen Mann geköpft. Vielleicht würde er heute ja mir den Kopf abschlagen.
Voller Angst, mich verraten zu haben,
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