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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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»Seine Überlebenschancen sind gering, aber wenn ihr ihn bewegt, wird er ganz sicher sterben. Er muss mindestens eine Woche lang liegen.«
    Ich sah, wie der Freund mit einem anderen Mann Blicke wechselte. Die beiden schienen keine Bauern zu sein, sondern wirkten eher wie léperos. Vielleicht hatten Kaufleute sie von der Straße weg angeheuert, um ihnen beim Transport der Waren zu helfen. Dass sie bleiben würden, bis der Mann reisefähig war, war nicht sehr wahrscheinlich. Sobald der Markt zu Ende war, würden sie um seine Stiefel und Kleider würfeln, ihm den Schädel einschlagen und ihn im Wald den wilden Tieren überlassen.
    Als sich die Zuschauer zerstreuten, sah ich, wie ein Mann Don Julio ansah. »Converso«, flüsterte er seinem Begleiter verächtlich zu.
    Ich kannte dieses Wort aus meinen Gesprächen mit Bruder Antonio. Ein converso war ein Jude, der lieber zum Christentum übergetreten war, als Spanien oder Portugal zu verlassen. Manchmal hatte dieser Religionswechsel schon vor Generationen stattgefunden, doch das Blut des Betreffenden galt auch weiterhin als unrein.
    Dass dieser wohlhabende Arzt - denn für einen solchen hielt ich ihn - ebenfalls nicht reinblütiger Abstammung war, nahm mich natürlich sofort für ihn ein.
    Ich verließ den Markt und ging zu einem Hügel, auf dem früher ein kleiner Tempel gestanden hatte. Dort blieb ich eine Weile gedankenverloren sitzen und grübelte über meine Schwierigkeiten mit Sancho und Mateo nach. Um mich selbst machte ich mir weniger Sorgen als um den Zauberer. Es war zwar eine Lüge gewesen, als ich ihn Sancho gegenüber als meinen Vater ausgegeben hatte - aber in gewisser Weise stimmte es dennoch.
    Was meinen Lohn anging, machte ich mir keine falschen Hoffnungen. Nachdem ich meinen Auftrag für Sancho erledigt hatte, würde er mich und den Zauberer umbringen. Ich steckte also in der Klemme. Der Zauberer kam nur langsam voran und ging ohne seinen Hund und seinen Esel nirgendwo hin. Also blieb mir nichts weiter übrig, als die richtige Gelegenheit abzuwarten und Sancho ein Messer in den fetten Wanst zu stoßen - in der Hoffnung, dass Mateo dem Zauberer nichts antun würde, auch wenn er mir den Kopf abschlug.
    An einer Mauer der Ruine entdeckte ich eingemeißelte aztekische Schriftzeichen. Ich schob das Gras beiseite, um sie besser lesen zu können. Der Zauberer hatte mir beigebracht, die Bilderschrift der Azteken zu entziffern, und mir außerdem Papiere gezeigt, die vor der Eroberung beschriftet worden waren.
    Auch Bruder Antonio hatte sich für die Schrift der Azteken und ihr Papier interessiert und war ganz begeistert gewesen, als ein anderer Mönch ihm ein Stück davon gegeben hatte. Das Papier wurde hergestellt, indem man die Rinde bestimmter Feigenbäume in Wasser einweichte, bis sich die Fasern vom Fleisch trennten. Dann wurden die Fasern auf einer glatten Oberfläche geschlagen, mit einer klebrigen Masse bestrichen, gefaltet, noch einmal gepresst und anschließend geglättet und getrocknet.
    Die Schrift selbst bestand nicht aus Buchstaben, sondern aus Bildzeichen und erinnerte an die der alten Ägypter. Um eine Botschaft oder den Zusammenhang einer Geschichte zu verstehen, musste man eine Reihe von Bildern lesen. Manche Gegenstände konnte man durch eine einfache Abbildung darstellen, doch die meisten Sachverhalte verlangten eine aus mehreren Zeichen zusammengesetzte Darstellung. Ein schwarzer Himmel und ein geschlossenes Auge standen für die Nacht; eine eingewickelte Mumie war das Symbol des Todes; der Vorgang des Sehens wurde durch ein Auge im Profil dargestellt.
    Die Bilderschrift auf der Mauer unweit des Marktes zeigte einen Aztekenkrieger in voller Rüstung, der einen feindlichen Kämpfer am Haar zerrte - also tobte gerade eine Schlacht. Ein aztekischer König oder Adliger, dessen Namen ich nicht ermitteln konnte, redete. Dies wurde durch eine kleine Schriftrolle ausgedrückt, die aus dem Mund des Sprechers quoll. Anschließend marschierten Aztekenkrieger, symbolisiert durch Fußabdrücke. Ein Tempel brannte, was darauf hinwies, dass seine Besitzer besiegt worden waren.
    Während ich mir die Geschichte auf Spanisch, der Sprache, in der ich dachte, laut vorlas, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass ich nicht mehr allein war. Ich erschrak. Don Julio stand neben mir und beobachtete mich.
    »Du kannst die Zeichensprache der Azteken lesen?«
    Der Stolz ließ mich gesprächig werden. »Ein bisschen. Diese Inschrift preist Ruhmestaten und bedeutet

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