Das Blut der Azteken
hervor, was ich erlebt hatte.
»Ein Jaguar hat mich angegriffen«, beteuerte ich, nachdem ich ihm von dem Menschenopfer erzählt hatte, dessen Zeuge ich geworden war.
Wir packten unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Weg in die Stadt, wo viele Besucher vor den Häusern von Freunden ihr Lager aufgeschlagen hatten. Wenn es hell gewesen wäre, hätte ich vorgeschlagen, bis in die nächste Stadt oder noch weiter zu ziehen.
Nachdem wir uns neben einigen anderen Besuchern niedergelassen hatten, schilderte ich dem Zauberer noch einmal ganz ruhig die Vorfälle und beantwortete seine Fragen.
»Bestimmt war es der Knochenwerfer, den ich schon auf dem Markt gesehen habe«, meinte ich. »Bei dem Schaukampf zwischen den Rittern heute habe ich ihn wieder erkannt.«
Der Zauberer war merkwürdig still. Eigentlich hätte ich erwartet, dass er gründlicher auf die Ereignisse eingehen würde und dass er sie mir dank seines großen Wissens und seiner Weisheit würde erklären können. Dass er schwieg, steigerte mein Unbehagen noch.
Ich schlief nur wenig und sah im Traum fortwährend, wie dem Mann das Herz aus der Brust gerissen wurde. Außerdem stand mir dauernd das Bild des Täters vor Augen. Am meisten machte mir zu schaffen, dass ich wusste, wer das Opfer war: der christliche Indio, der den toten Anhänger des Aztekenglaubens hinter seinem Maulesel hergezogen hatte.
39
Bevor wir bei Morgengrauen aufbrachen und uns einer Maultierkarawane anschlossen, bestrich der Zauberer die Kratzer auf meiner Brust mit Salbe.
»Zu dumm, dass ich bei meiner Flucht einem Jaguar begegnet bin«, sagte ich, während er die Salbe auftrug.
»Das war kein Zufall«, erwiderte der Zauberer.
»Aber es war kein als Jaguarritter verkleideter Mann, sondern ein echtes Tier.«
»Ja, es war ein Tier, aber ob es echt war…«
»Ich habe es doch gesehen und du im Übrigen auch. Es ist auf vier Beinen weggelaufen. Schau dir meine Brust an. Das kann doch kein Mensch gewesen sein.«
»Wir haben ein Tier gesehen, aber nicht alles, was ein Tier zu sein scheint, ist tatsächlich eines.«
»Was soll das heißen?«
»Dieser Mann, den du einen Hellseher nennst, der Knochenwerfer, ist in Wirklichkeit ein naualli. «
»Was ist ein naualli?«
»Ein Hexer. Kein Heiler, sondern einer, der die dunklen Seiten der Tezcatlipoca-Magie heraufbeschwört, die den Hexern ihre Macht verleiht. Es gibt viele von ihnen, doch er ist der berüchtigtste. Man sagt, dass diese Hexer die Menschen erschrecken und nachts Kindern das Blut aussaugen. Sie können Wolken herbeirufen und es hageln lassen, damit es den Menschen die Ernte vernichtet. Sie können einen Stock in eine Schlange und einen Stein in einen Skorpion verwandeln. Aber ihre gefürchtetste Fähigkeit ist die, ihre Gestalt zu verändern.«
»Ihre Gestalt verändern? Glaubst du, der naualli hat sich in einen Jaguar verwandelt, um mich zu töten?« Ich klang wie ein Priester, der einen Indio wegen seines Aberglaubens schalt.
Der Zauberer kicherte angesichts meiner Entrüstung. »Steht es denn fest, dass alles, was wir sehen, ebenso wie wir aus Fleisch und Blut ist? Du hast eine Reise zu deinen Ahnen unternommen. War das ein Traum? Oder bist du deinen Vorfahren tatsächlich begegnet?«
»Es war ein Traum, ausgelöst durch den Zaubertrank.«
»Der Zaubertrank hat dir die Brücke zu deinen Ahnen gebaut.
Doch bist du so sicher, dass du das alles wirklich nur geträumt und die Brücke nicht überquert hast?«
»Es war ein Traum.«
Wieder grinste er. »Dann hast du das, was letzte Nacht geschehen ist, vielleicht auch nur geträumt.«
»Es hatte echte Krallen.«
»Es heißt, dass nauallis einen Mantel aus Jaguarfell besitzen. Wenn sie ihn anziehen, verwandeln sie sich in ein Tier. Sie haben eine Medizin, die stärker ist als jeder Zaubertrank, ein übles Gebräu aus den verschiedensten giftigen Ungeziefern Spinnen, Skorpionen, Schlangen und Tausenfüßlern. Dann fügen sie das Blut eines Jaguars und Stücke von Menschenherz hinzu. Wenn jemand, der den Mantel eines naualli trägt, es trinkt, kann er sich in das Tier verwandeln, aus dem der Mantel besteht.
Von den Männern des Dorfes, in dem wir vor vier Tagen waren, habe ich eine Geschichte gehört. Ein Spanier hatte sich viele Jahre lang ein Indiomädchen als Geliebte gehalten, mit ihr Kinder gezeugt und sie behandelt wie eine Ehefrau, allerdings ohne sie zu heiraten. Dann betrog der Spanier seine Geliebte, indem er sich eine Braut aus Spanien kommen ließ und
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