Das Blut der Azteken
von den Mauren, vom Bey von Algier höchstselbst, diesem schwarzen ungläubigen Heiden, gefangen genommen. Sie folterten mich und ließen mich hungern, bis es mir gelang zu fliehen.«
Ich hatte diese Geschichte schon einmal gehört, und zwar von einem Verfasser, dessen Name häufiger in einem Atemzug mit Homer genannt wurde als der von Mateo: Miguel de Cervantes, der Autor von Don Quijote, war vom Bey von Algier ergriffen worden und hatte einige Zeit in einem maurischen Gefängnis verbracht. Vor vielen Jahren hatte ich in Mateos Gegenwart schon einmal Cervantes' Namen erwähnt, was mich beinahe den Kopf gekostet hätte. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, aber ich war neugierig zu erfahren, ob Mateo sich genauso selbstverständlich aus dem Gedankengut anderer Menschen bediente wie aus ihren Börsen, und machte deshalb eine eigentlich harmlose Bemerkung.
»Die Priester in der Kirche, die mir Spanisch beigebracht haben, sprachen öfter von einem anderen Schriftsteller, der gefangen genommen…«
Im nächsten Moment lag ich auf dem Boden, in mein Schädel brummte. Mateo hatte mir eins übergebraten.
»Wehe, wenn du diesen Namen in meiner Gegenwart noch einmal aussprichst«, sagte er. »In einer Gefängniszelle, nach grausigen Qualen und Entbehrungen, habe ich diesem Schweinekerl anvertraut, ich wolle eine Geschichte über einen herumirrenden Ritter schreiben, sobald ich wieder in Spanien sei, die Geschichte meines Lebens. Er hat mir mein Leben gestohlen und das Buch vor meiner Rückkehr veröffentlicht. Nur mit dem Unterschied, dass er meine großen Taten verfälscht und sie der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Vor den Augen der ganzen Welt schildert er mein Leben als das Hirngespinst eines törichten Narren. Ja, ich gebe zu, dass ich einiges getan habe, was in dieser Welt als unehrenhaft gilt. Ich habe mich an den Schatullen der Wohlhabenden schadlos gehalten, den Wein des Lebens getrunken, bis die Flasche leer war, und meine Tage, meine Jahre, meine Jugend, meine Ängste, meine Hoffnungen, meine Träume, ja, sogar meine Seele vertändelt, bis der Morgen graute. Und ich habe nie zurückgeblickt. Ich habe Männer getötet und Frauen verführt. Doch zwei Dinge habe ich nie getan: Ich habe nie einen Freund betrogen und nie einem anderen Menschen die Lebensgeschichte gestohlen. Nun singt alle Welt das Hohelied auf diesen Dieb, und niemand kennt den Namen des armen Mateo Rosas de Oquendo.« Mateo versetzte mir einen Tritt. »Verstehst du es jetzt?«
Der Monte Albán erhob sich fast fünfhundert Meter über das Tal von Oaxaca und die gleichnamige Stadt. Die Hügel waren kahl und fast baumlos, sodass das Auge nicht von den majestätischen Gebäuden abgelenkt wurde.
Wie in den anderen Tempelstädten Neuspaniens hatte man sich auch beim Bau von Monte Albán den Grundriss von Teotihuacan, dem Hort der Götter, zum Vorbild genommen. Die alten steinernen Gebäude waren um einen rechteckigen Platz auf der flachen Bergkuppe angeordnet; die terrassenförmige Plaza wurde von Pyramiden, einem Observatorium, einem Spielfeld und Palästen geschmückt.
Monte Albán war - wie so viele heilige Stätten meiner indianischen Vorfahren - ein geheimnisumwobener Ort und schon in vorspanischer Zeit fast unbewohnt gewesen, auch wenn viele Menschen die Stadt besucht hatten.
Heute war Monte Albán eine Geisterstadt, und nur der Kot von durchziehenden Lasttieren und das zertrampelte Gras wiesen darauf hin, dass dieser heilige Ort im Laufe der Zeit nicht unberührt geblieben war. Wenn ich die gespenstischen steinernen Städte meiner Ahnen besuchte, verspürte ich dort stets eine bedrückende Stimmung, so als ob die Bewohner etwas von ihrer Trauer dort zurückgelassen hätten, als sie die Stadt den Schlangen und Taranteln überließen.
Wir schlugen unser Lager auf; anschließend schlenderte ich mit dem Zauberer zwischen den Ruinen umher. Ich spürte einen vertrauten kühlen Lufthauch, den Wind, der mich auch in der Höhle unter dem Sonnentempel in Teotihuacan angeweht hatte.
»Die Götter sind unzufrieden«, sagte der Zauberer. »Diese Männer führen Böses im Schilde. Sie sind nicht hier, um die Götter zu ehren, sondern um sie zu beleidigen.«
43
Der Zauberer und ich lagerten ein Stück entfernt von den anderen. Wir waren nicht allein auf dem Hügel. Ein paar Meter weiter hatte sich ein Geschäftsmann vom Markt mit seiner ungewöhnlichen Ware - vier Prostituierten - niedergelassen, und ich hörte, wie Sancho dem Mann sagte, er
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