Das Blut der Berge (Die Steinzeit-Trilogie) (German Edition)
Gedanken nicht unterschiedlicher sein können. Sie waren nicht mehr weit von ihrer Siedlung entfernt und bereiteten ihr letztes Nachtlager vor. Rassa erfrischte sich ein Stück entfernt am Fluss, noch immer mit gebundenen Händen. Haroo beobachtete sie, ihre geschmeidigen Bewegungen, ihre von den Wasserperlen glänzenden Muskeln. Er konnte nicht anders, er fühlte sich zu ihr hingezogen, auch wenn er wusste, dass sein Vater so einer Verbindung niemals zustimmen würde. Nicht nur sein Vater, die gesamte Sippe würde diese Frau ablehnen. Er stellte sich vor, wie Rassa und er zusammen durch den Wald zogen. Wo immer sie hin wollten und was immer sie tun wollten. Frei. Sie wrang ihre langen nassen Haare aus und lächelte ihn kurz an. Aber würde er wegen ihr seine Sippe verlassen? Seinen Vater, seine Mutter, seine Brüder? Mira?
Tisgar dachte unterdessen zwar ebenfalls über Rassas Schicksal nach, jedoch mit einem weniger romantischen Hintergrund. Er wollte sie immer noch loswerden, aber scheinbar musste das gehen, ohne dass Haroo oder Taro etwas davon mitbekämen. Schwierig. Am liebsten hätte er sie direkt in den Fluss gestoßen. Was sollte sie bei der Sippe, die sie überfallen hatte? Niemand würde sie haben wollen. Er bemerkte Haroos abwesenden Blick und stieß ihn an. "Ich meine immer noch, dass wir sie nicht mitnehmen sollten." flüsterte er. "Keine der Sippen wird sie aufnehmen." Haroo sah ihn bedrückt an: "Ja, wahrscheinlich hast du recht, aber was sollen wir denn jetzt noch machen?" fragte er. "Du könntest Taro ablenken und ich ..." versuchte es Tisgar. "Nein, wir töten sie nicht." zischte Haroo. "Wir haben die anderen doch auch alle getötet." meinte Tisgar. "Warum sie nicht? Sie wird bei uns sowieso nicht glücklich werden." "Nein, das wird sie wohl nicht." seufzte Haroo. "Aber die Sippe soll darüber entscheiden." "Sie werden uns fragen, warum wir sie mitbringen." warf Tisgar ein. Haroo dachte einen Moment nach. "Wir können sagen, dass Taro sie beschützt hat." meinte er dann leise. "Und dass wir ihm nicht wehtun wollten." Tisgar nickte widerwillig. "Denk an deine Frau." sagte Haroo. "Sie wird sich freuen, den Wolf wiederzusehen. Und vielleicht auch dich." Er grinste. Tisgar lächelte. "Ja, Pinaa wird sich freuen." stimmte er zu. "Und sie werden diese Frau verachten. Sie werden sie verjagen."
"Sie werden euch gut aufnehmen." versicherte Mattoo. Er und Lania liefen ein Stück hinter den anderen her. Sie hatten beschlossen, nicht nach der Sippe mit den Farben zu suchen, sondern an den See zurückzukehren. Auf dem Weg dorthin wollten sie die Sippe mit den Biberfellen noch einmal aufsuchen, um vielleicht von ihnen einige der Farbgrundstoffe oder weitere schwarze Steine im Tausch gegen ihre letzten beiden Steine zu erhalten. "Meinst du wirklich?" Lania zweifelte. "Die meisten Sippen wollen lieber neue Frauen als Männer. Und wir sind euch so fremd." "So fremd seid ihr nicht. Wir verstehen uns doch." erwiderte Mattoo. "Die Schatten haben Telgar gute Männer genommen. Ich denke, sie brauchen euch." "Vielleicht brauchen sie gute Jäger." stimmte sie zu. "Aber brauchen sie auch die Männer? Ich meine, wird es Frauen geben, die ... also ... werden sie neue Familien finden? Irgendwann?" "Bestimmt." beruhigte Mattoo. "Es wird vielleicht nicht einfach, aber auch die Frauen bleiben nicht gern allein." Sie nickte: "Ja. Jeder braucht einen Gefährten." Eine Weile liefen sie schweigend weiter. Mattoo hätte gern gewusst, ob sie sich auch einen Gefährten wünschte. Und ob er das sein könnte. Er überlegte, ob er ihre Hand nehmen sollte. Einfach so. Was sollte schon passieren? Ihre Stimme durchbrach seine Gedanken. Er hörte nur "... und Lantan ..." und unterbrach sie sofort wütend: "Was findest du an ihm? Er redet ja nicht mal mit dir." Sie zuckte erschrocken zurück und sah ihn fragend an. "Ich meinte doch nur ..." setzte sie an, aber er stoppte sie mit einer Handbewegung. "Hab schon verstanden." Er schrie fast, sodass Suur sich kurz umdrehte, um nach dem Rechten zu sehen. Lania machte ein Zeichen, dass alles in Ordnung war. Mattoo war über seinen Ausbruch selbst erschrocken. Seine Wut wich nun eher der Enttäuschung. Was spielte er sich so auf, er konnte ihr nicht vorschreiben, ihn zu mögen. Lantan war ein starker, gut aussehender Jäger. Und was war er? Ein Geschichtenerzähler. Die Frauen lagen ihm nicht zu Füßen. So war das eben. Das Einzige, was für ihn sprach, war, dass Lantan schon eine Familie hatte.
Weitere Kostenlose Bücher