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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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in jener Nacht, als er mich
mit in seine Gemächer nahm. Warum nehmen Sie keinen Jungen, damit dieser die
Arbeit eines Jungen verrichtet?
    Das habe ich, antwortete er, schon drei Mal. Der Erste
– ein Stalljunge – hat eine Magd geschwängert. Der Zweite – ein Diener – ging
zur Armee, weil ihm die Uniform besser gefiel. Der Dritte – ein Koch – wurde
bei einer Rauferei getötet. Ich brauche einen Jungen, der mit dem Kopf denkt,
nicht mit dem Gemächt. Da es einen solchen nicht gibt, habe ich mir selbst
einen geschaffen.
    Er hatte mich die ganze Zeit über beobachtet. In
Versailles, wo ich in Reithosen und Mütze für Louis Charles herumtollte. Im
Palais, wo ich Hamlet und Romeo rezitierte. Ich selbst hatte ihn auf die Idee
gebracht.
    Mach es für mich, sagte er. Mach es gut, und wenn ich
dich nicht mehr brauche, bringe ich dich an die Bühne. Ans Nationaltheater. An
die Oper.
    Ich war aber nicht ganz so dumm, wie er dachte.
    Ich werde nie auf einer Pariser Bühne stehen, sagte
ich, das wissen Sie ganz genau. Ich bin zu reizlos, um die Julia oder die
Iphigenie zu spielen. Und zu gut, um Kammerzofen zu geben.
    Dann spiel den Romeo. Den Benedikt. Den Philinte. Du kannst
es. Hast du es nicht schon hundert Mal getan? Nachts im Palais Royal?
    Das war eine ganz und gar neue Idee. Ich dachte darüber
nach und fragte dann: Und wenn ich es nicht tue?
    Dann wanderst du ins Gefängnis. Vier Wachen haben gesehen,
wie du meine Börse gestohlen hast. Hast du vergessen, dass ich dir einen
Aufenthalt im Sainte-Pélagie versprochen habe?
    Ein Versprechen soll das sein?, fragte ich schnaubend.
Ich nenne das eine Drohung.
    Der Herzog von Orléans lächelte. Ich muss mich keiner
Drohungen bedienen, sagte er.
    In diesem Moment erwachte etwas in mir zum Leben – eine
grässliche, schwarze Angst. Ich wollte keine Spionin sein, keine Zuträgerin.
Ich befürchtete, meine Berichte könnten Louis Charles und seiner Familie eines
Tages schaden. Aber gleichzeitig war auch etwas anderes in mir, etwas viel
weniger Edles, und die Worte des Herzogs fachten dessen schwindende Glut wieder
an.
    Er erkannte es in meinem Gesicht, er musste es geahnt
haben – ein schwaches Aufglimmen meines Gewissens, das mit meinem brennenden
Ehrgeiz im Widerstreit lag –, und so beeilte er sich, es auszulöschen.
    Hör mir zu, kleiner Spatz, sagt er. Ich will dem König
keinen Schaden zufügen. Er ist mein Cousin, ist von meinem Blut. Ich will ihm
nur helfen. Deine Berichte werden mir dafür von Nutzen sein. Wenn du mir
berichtest, der spanische Botschafter habe der Königin eine Tapisserie oder dem
Dauphin Spielzeug geschickt, weiß ich, dass dem König aus Spanien vielleicht
Hilfe zuteil wird. Siehst du nicht, was um dich herum geschieht? So blind
kannst doch selbst du nicht sein. Der Adel ist gestürzt worden. Der Klerus
ebenso. Die Revolutionäre werden es dabei nicht bewenden lassen. Als Nächstes
ist der König an der Reihe. Ja, der König.
    Ich wollte ihm so gern glauben. Ihm glauben, dass er
Gutes im Sinn hatte. Dass ich Gutes tat.
    Aber der König hat die Liebe seines Volkes
wiedergewonnen, sagte ich, um ihn zu testen. Er ging letzten Winter in die Nationalversammlung.
Er schwor einen Eid, die Freiheit zu verteidigen. Er versprach, die Verfassung
zu unterstützen. Im Juli besuchte er die Einheitsfeier und schwor, die Dekrete
der Nationalversammlung zu befolgen. Ganz Paris war dort und hat es gesehen.
    Nicht ganz Paris hat ihn gehört, entgegnete Orléans.
Ich jedoch schon. Ich hörte, wie ihm die Worte im Hals stecken blieben. Die
Eide, die er geschworen hat, sind nicht genug. Für Roland, ja. Für Desmoulins
und Danton. Aber nicht für Robespierre. Er ist ein höchst gefährlicher Mann,
dieser Robespierre – einer, der Gutes tun will, egal zu welchem Preis. Der
König ist in großer Gefahr und seine Familie mit ihm. Deshalb musst du es tun.
Um ihm zu helfen. Um ihnen allen zu helfen. Vielleicht ist noch Zeit, das
Unheil abzuwehren.
    Ich war immer noch misstrauisch. Ihnen geht es in
Wirklichkeit gar nicht darum, was mit dem König geschieht, sagte ich. Sie
wollen sich meiner Liebe für Louis Charles bedienen. Um sie für Ihre Zecke
auszunutzen. Wie auch immer diese aussehen mögen.
    Wie er daraufhin lachte! Ach, kleiner Spatz, red dir
nur ein, was du willst, antwortete er. Das ist einfacher als die Wahrheit.
    Und was ist

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