Das Blut der Lilie
Varennes und schlug Alarm. Soldaten rückten an. Der König
wurde festgenommen. Mitglieder der Nationalversammlung ritten nach Varennes und
forderten, dass er nach Paris zurückkehrte. Eine Truppe von sechstausend Soldaten
und Bürgern sorgte dafür, dass dies schlieÃlich geschah.
Tausende säumten die StraÃen auf dem Rückweg nach
Paris, um ihren König zu sehen. Ich war darunter und hoffte, einen Blick auf
Louis Charles zu erhaschen, was mir aber nicht gelang. Ich dachte, die Leute
würden den König verhöhnen, als seine Kutsche in die Stadt einfuhr, aber alle
waren still. Schweigend standen die Menschen da. Keiner nahm die Mütze ab.
Keiner beugte den Kopf. Alle Verstellung war vorbei. Sie wussten, ihr König
hatte sie und ihre Revolution verraten, und ihnen kam der Gedanke, dass auch
sie sich seiner entledigen konnten.
In Paris brachen Aufstände los, als bekannt wurde, dass
der König geflüchtet war. Leute zerstörten seine Standbilder und zerschlugen
die Schilder über Läden und Gasthäusern, die sein Emblem trugen. Ihr Zorn legte
sich auch nicht, als er zurückkehrte. Es gab Forderungen, er solle abdanken.
Zehntausende marschierten zur Nationalversammlung und forderten eine Republik.
Der Herzog von Orléans befahl mir mitzumarschieren, also tat ich wie geheiÃen,
die Trikolore an meine Jacke geheftet.
Aber der König dankte nicht ab. Wütend beschuldigte Danton
die Versammlung, den Willen des Volkes zu missachten, weil sie den König nicht
dazu zwang, und reichte eine Petition ein, um seine Absetzung zu fordern. Er
und seine Anhänger riefen die Bürger auf, zum Marsfeld zu kommen, und die Petition
zu unterschreiben. Tausende kamen. Die Zusammenkunft verlief anfangs noch
friedlich, bis dann jedoch Unruhen ausbrachen. Die Garde wurde gerufen, um Ruhe
und Ordnung wiederherzustellen, und sie feuerte in die Menge und tötete fünfzig
Anwesende. Eine Verhaftungswelle setzte ein. Das Kriegsrecht wurde ausgerufen.
Zeitungen wurden verboten. So ging es den ganzen Herbst hindurch bis in den
Winter. Schnee fiel, kalter Wind fegte durch Paris, aber selbst dies konnte die
erhitzten Gemüter und die Wut nicht abkühlen.
Ungehalten darüber, wie Frankreich seinen König
behandelt hatte, erklärten uns die Könige Europas den Krieg. PreuÃen, England,
Ãsterreich, Spanien â alle waren gegen uns.
Die Radikalen in der Nationalversammlung wurden kühner.
Sie attackierten die Kirche und enteigneten sie. Sie attackierten die
Emigranten. Adlige, die Frankreich verlassen hatten, wurden zu Verrätern
erklärt und ihr Land sowie ihr Vermögen eingezogen. Jene, die geblieben waren,
gerieten ebenfalls unter Verdacht. Der schlaue Herzog von Orléans dagegen
taufte das Palais Royal in Palais Ãgalité um. Sich selbst nannte er Philippe
Ãgalité. Er wurde Abgeordneter, legte seinen Adelstitel ab und schickte seinen
ältesten Sohn in den Krieg gegen PreuÃen. Das verschaffte ihm einen kurzen
Aufschub.
Dann folgte das Jahr 1792.
Der Frühling kam und mit ihm noch mehr Unruhen. Im westlichen Teil des Landes
rebellierten die Menschen gegen die Revolution und drohten mit Bürgerkrieg. Im
Juni weigerte sich der König, die notwendigen Befehle zu unterschreiben, um
eine zwanzigtausend Mann starke Truppe in Paris zu stationieren â Kräfte, die
die Stadt vor ausländischen Invasoren schützen sollten. Es wurde verbreitet,
dass er eine Invasion begrüÃen würde, denn sie würde ihm helfen, seinen Thron
zu retten. Erneut aufgebracht, marschierten Pariser Bürger zu den Tuilerien.
Sie drangen in seine Gemächer ein, bedrohten ihn mit Säbeln und Pistolen und
zwangen ihn, eine Freiheitsmütze aufzusetzen. Mehrere Stunden lang beschimpften
sie ihn, aber er blieb standhaft und tapfer. Um sechs Uhr traf schlieÃlich der
Bürgermeister der Stadt ein und überredete die Menge abzuziehen.
Aber bevor ihm das gelang, schien es mir, als
wiederholte sich der Fall von Versailles. Ich war in den Tuilierien, hatte
meine Stelle als Kammerdiener bei Louis Charles wieder eingenommen. Als der Mob
hereinzuströmen begann, befahl die Königin ihren Wachen, Louis Charles und
Marie-Thérèse in ihre Schlafgemächer zu bringen und sie einzuschlieÃen. Mich
wies sie an, die beiden zu begleiten. Ich spielte den ganzen Tag mit Louis
Charles, während Marie-Thérèse ihren Näharbeiten nachging. Ich
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