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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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im
Schilde.
    Â»Das ist ein Tritonus – ein Akkord, der aus einer kleinen
Terz und einer verminderten Quinte besteht, um Dissonanzen zu erzeugen.« Er
sieht mich verständnislos an. Ich denke einen Moment nach und erkläre dann
weiter: »Du kennst doch die Stelle, wo Tony in der West Side Story Maria singt? Das ist ein Tritonus. Purple Haze von Jimi Hendrix fängt auch mit ein
paar solcher Akkorden an. Genauso die Titelmelodie der Simpsons.«
    Â»Aber warum nennt man das den ›Teufel in der Musik‹?«
    Â»Na ja, eine Erklärung ist, dass der Tritonus schräg, ein
bisschen düster klingen kann. Aber eigentlich geht es eher darum, dass er in
einem Musikstück Spannung erzeugt – und diese Spannung dann nicht auflöst. Als
würde man eine Frage stellen, auf die es keine Antwort gibt.«
    Â»Und das macht ihn teuflisch?«
    Â»Diese Bezeichnung bekam der Tritonus im Mittelalter, weil
die Kirchenoberen keine Fragen duldeten. Leute, die zu viele Fragen stellten,
fanden sich oft auf dem Scheiterhaufen wieder. Die Kirche hat den Typen, die
Kirchenmusik komponierten – was übrigens der beste Gig war, den ein Musiker
damals kriegen konnte –, verboten, den Tritonus zu benutzen.«
    Ich bin inzwischen richtig in Fahrt gekommen und sprudle wie
ein Wasserfall. Weil ich nichts lieber mag als einen guten, schrägen Tritonus.
Tatsächlich bin ich so sehr bei der Sache, dass ich mein ganzes Misstrauen
vergesse. Meine Zweifel vergesse. Vergesse, dass ich es eigentlich besser weiß.
    Â»Also war Malherbeau der Erste, der ihn benutzt hat?«, fragt
er.
    Â»Nein, Dad. Abweichungen von der klassischen Harmonielehre
gab es schon lange vor Malherbeau. Schon während der Renaissance fingen einige
Komponisten an, sich von den alten Regeln zu lösen. In der Barockzeit hat Bach
den Tritonus verwendet – sparsam zwar – aber dennoch. Das Gleiche gilt für
Haydn und später für Mozart. Dann kam Beethoven und hat sich vermehrt auf
Dissonanzen verlegt. Und Malherbeau, der von Beethoven beeinflusst wurde, hat
es sogar noch weiter getrieben.«
    Â»Aber Beethoven spielte doch nicht Gitarre. Er spielte
Klavier.«
    Â»Ja … und?«
    Â»Wie konnte er einen Gitarristen beeinflussen?«
    Ich könnte mich an die Stirn schlagen. Ȁhm, Dad? Gitarristen
hören nicht bloß Gitarrenmusik. Sie hören Musik. Du kannst in Malherbeaus
Gitarre Liszts Klavier hören. Und viel später findest du Malherbeau bei Debussy
und Satie wieder. Und dann bei Messiaen, einem ausgeflippten französischen
Komponisten, der Neuland bereiste und so verrückte Sachen machte, wie seine
eigenen Instrumente zu erfinden und Vogelgesang zu lauschen. Du kannst ihn auch
in Amerika hören. In zahllosen Blues- und Jazz-Richtungen. John Lee Hooker hat
von Malherbeau profitiert. Genau wie Ellington und Miles Davis. Bei einer Menge
Bands wie Joy Division und den Smiths lässt sich sein Einfluss nachweisen …«
    Â»Und wie möchtest du diese Einflüsse darstellen?«,
unterbricht er mich.
    Â»Mit Samples«, erkläre ich, ungeduldig, weil ich meinen Satz
nicht beenden konnte. »Und dann gibt’s noch Jonny Greenwood, der als vollkommener Erbe
von Malherbeaus Musik gelten kann. Ein Gitarrist, der wiederum bis an die
Grenzen geht, genau wie Malherbeau es tat, und etwas Neues und Wunderbares
kreiert, und …«
    Â»Warte mal … was sind Samples?«, fragt Dad.
    Â»Musikschnipsel. Beispiele von Stücken, auf die ich mich
beziehe. Das mache ich mit PowerPoint, nachdem ich sie von meinem iPod
runtergeladen habe. Warum fragst du?«
    Er verschränkt die Arme vor der Brust und runzelt die Stirn.
»Ich weiß nicht, Andi. Ich finde, das hört sich riskant an. Schwer umsetzbar.
Meiner Meinung nach wäre es im Moment klüger, wenn du dich auf Malherbeau
beschränken würdest. Stell sein Werk und sein Leben dar, und am Schluss fügst
du ein bisschen was über seine Nachwirkung an. Du brauchst eine gute Note …«
    Ich habe das Gefühl, als hätte ich einen Schlag in die
Magengrube bekommen, wäre reingelegt worden. Also darum geht es ihm. Er schert
sich einen Dreck um die Musik oder was sie mir bedeutet. Ihm geht’s nur um
Schulnoten. Bei ihm geht’s immer bloß um Noten. Das weiß ich. Ich kenne ihn.
Warum habe ich mir überhaupt Hoffnungen gemacht? Warum habe ich geglaubt,
diesmal wäre es

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