Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
für
unsere Unterhaltung um.
    Â»Nichts.«
    Â»Komm schon«, sage ich und laufe in eine Seitenstraße. »Was
gibt’s denn?«
    Â»Jemand hat heute Morgen an meinem Taxi rumgemacht.«
    Â»Was, sind deine Spiegel gestohlen oder so was?«
    Â»Nein, sie haben versucht, meinen Wagen zu klauen. Inklusive
mir selbst.«
    Â»O mein Gott. Bist du mitsamt deinem Wagen entführt worden?
    Â»Fast.«
    Â»Virgil, bist du okay?«
    Â»Ja. Bloß ziemlich durch den Wind.«
    Â»Was ist passiert?«
    Â»Es kam zu einer Prügelei. Die Polizei ist gekommen und …«
    Â»Eine Prügelei?«
    Â»Mir geht’s gut. Wirklich. Kannst du einfach bloß singen?«
    Â»Okay, ja. Ähm … nein. Nein, kann ich nicht. Nicht bevor ich
nicht sicher weiß, dass du wirklich okay bist.«
    Â»Bin ich. Echt. Einer von ihnen hat zugeschlagen, aber ich
hab mich weggeduckt. Fast zumindest. Er hat mich gestreift. Ich hab einen
Schnitt an der Wange, das ist alles. Sing, Andi. Bitte. Ich bin müde. So
verdammt müde.«
    Also tat ich es. Ich setzte mich auf eine Parkbank und sang
Stücke, die wir neulich bei Rémy gespielt hatten. Die Melodie von Plaster Castle. Aber
es funktionierte nicht. Er war immer noch wach. Immer noch aufgeputscht von dem
Adrenalin. Das konnte ich seiner Stimme anhören.
    Ich brauche ein Schlaflied, dachte ich. Aber so sehr ich mir auch
das Hirn zermarterte, es fiel mir nichts anderes als Rock-a-bye Baby ein, das
blödeste, schauerlichste Schlaflied aller Zeiten. Während ich nachdachte, fuhr
ein Taxi mit der Reklame einer britischen Reiseagentur vorbei, die für
Billigflüge nach London warb. Smith and Barlow stand auf der Tür. Smith and
Barlow. Die Smiths. Asleep .
Perfekt, dachte ich.
    Ich sang es nicht besonders gut. Ich hätte eine Klavierbegleitung
gebraucht. Und Morrissey. Aber das machte nichts. Er brauchte einen Song. Von
mir. Und ich musste ihm einen liefern.
    Die letzte Strophe sang er gemeinsam mit mir. Besser gesagt,
er murmelte sie mit. Und dann flüsterte er: »Danke dir«, und legte auf. Ich blieb
auf der Bank sitzen. Mit geschlossenen Augen, das Handy umklammert. Ich dachte
darüber nach, was gerade passiert war. Was letzte Nacht passiert war. Und
wünschte, ich wäre bei ihm. Würde neben ihm liegen. Seinem Atem lauschen. Ich
weiß nicht, was da zwischen uns ist, falls da überhaupt etwas ist. Aber besser
wäre, wenn da nichts wäre, denn er ist total cool, total heiß. Er ist etwas,
was mir noch nie zuvor begegnet ist. Etwas wirklich Erstaunliches. Und ich bin
in ein paar Tagen wieder fort.
    Also tat ich mein Bestes, ihn aus meinem Kopf zu kriegen,
summte aber den ganzen Weg zur Bibliothek Asleep .
    Und jetzt halte ich nach den Maulwurfsmenschen mit ihren
Rollwagen Ausschau, aber vermutlich sind sie noch alle im Untergrund, denn
nirgendwo ist einer zu sehen. Es könnte noch ein paar Minuten dauern, also
nehme ich das Tagebuch heraus, das ich heute Morgen eingepackt habe, um in der
Mittagspause weiterzulesen, wenn die Bibliothek geschlossen ist.
    Ich schlage es auf, voller Hoffnung. Meine Hoffnung ist noch
größer als letzte Nacht. Dass Alex überlebt hat. Dass Virgil mich heute Abend
anruft. Ich hoffe so sehr, dass es mir Angst macht.
    5. Mai 1795
    Die Garden haben mich noch nicht gefangen. Mich nicht
getötet. Meine Wunde hat sich nicht entzündet. Der Schmerz lässt nach.
Vielleicht bleibe ich noch lange genug am Leben, um diesen Bericht
abzuschließen.
    Bevor man mich jagte, schrieb ich zuletzt über
Versailles und die Fischweiber. Wir überlebten den Angriff, wir alle.
    Bei Tagesanbruch erhielt General Hoche, ein Kommandeur
der Pariser Garde – genau jener Soldaten, die zum Palast marschiert waren –,
Nachricht vom Angriff des Mobs und kam dem König zu Hilfe. Hoche und seine
Männer trieben die Meute aus dem Palast. General Lafayette traf ein und stellte
wieder Ruhe her, indem er den König bat, auf den Balkon zu treten und zu seinem
Volk zu sprechen. Das tat der König und versprach, tatsächlich nach Paris
überzusiedeln, wo er der Liebe seiner treuen und braven Untertanen sicher sein
könne.
    Habe ich nicht gesagt, dass er dumm war?
    Danach wurden Louis Charles und seine Familie eilig weggebracht,
und ich wurde entlassen, beiseite geschoben von den Pariser Garden wie Unrat.
Ich versuchte, Louis Charles zu folgen, aber man ließ mich nicht.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher