Das Blut der Unschuldigen: Thriller
mehr als unwahrscheinlich.«
»Hoffentlich reicht aus, was wir herausbekommen haben …«
»Mit Sicherheit. Es gibt nichts Schlimmeres, als nicht zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Wer seinen Gegner kennt, kann seine Verteidigung vorbereiten. Sie werden sehen, dass die Herren Grillo und Nevers der gleichen Ansicht sind wie ich.«
»Es tut mir leid um Raymond. Er ist noch so jung … Das Umfeld, in dem er aufgewachsen ist, hat ihn verdorben. Sein Vater hat ihm einen solchen Fanatismus eingeimpft, dass ich dem jungen Grafen alles Mögliche zutraue«, klagte Aguirre.
»Ja, er ist ein Opfer seines Vaters. Als ich ihn kennengelernt habe, war er noch ein Kind und wurde entsetzlich gezüchtigt, wenn er dessen Erwartungen nicht erfüllte. Von seiner Idee besessen hat ihn der Mann von klein auf einer Gehirnwäsche unterzogen, und soweit ich gesehen habe, hat sich der Sohn dessen irrwitzige Vorstellungen vollständig zu eigen gemacht. Das ist bedauerlich, aber weder Sie noch ich können etwas daran ändern. Ich denke, dass meine Beziehung mit den d’Amis zu Ende ist, und ich empfinde darüber Erleichterung.«
»Bruder Juliáns Chronik hatte für Sie wohl eine große Bedeutung?«
»Sie ist begeisternd. Davon abgesehen, dass sie ein wichtiges historisches Dokument ist, hat sie mich schon beim ersten Lesen tief angerührt. Ein dem schrecklichen Inquisitor Ferrer unterstellter Dominikaner berichtet in der ersten Person, was auf dem umkämpften Gebiet vor sich geht. Vor allem aber schildert sie in denkbar offener Weise einen menschlichen Konflikt. Es erschien mir wichtig, die Chronik Fachkollegen zugänglich zu machen, damit sie jene Periode der französischen Geschichte weiter ergründen können.«
»Es ist zugleich die Geschichte der Kirche.«
»Sie wird eines Tages für alle ihre Fehlentscheidungen um Verzeihung bitten müssen.«
Es war Aguirre unmöglich, darauf einzugehen, denn auch ihn verstörte der Gedanke, dass man im Namen Gottes hatte töten können.
Als der Zug in Paris einlief, sah Arnaud erstaunt seinen Vater auf dem Bahnsteig. Das konnte nur bedeuten, dass etwas vorgefallen war, denn der alte Herr hatte ihn noch nie vom Bahnhof abgeholt, wenn er von einer Reise zurückkehrte.
Er stieg rasch aus und fragte: »Was gibt es?«
»David liegt im Krankenhaus. Er ist in einen Hinterhalt geraten. Heute morgen ist die Mitteilung gekommen. Man hat versucht, dich zu Hause und am Lehrstuhl zu erreichen, und das Rektorat hat dann bei uns angerufen … Deine Mutter hat einen Koffer für dich gepackt, und ich habe Bahn- und Schiffskarten besorgt. Wenn es dir recht ist, begleite ich dich.«
Diese letzten Worte hörte Arnaud schon nicht mehr. Er war bleich und schien kaum Luft zu bekommen. Sein Gesicht verzog sich vor Qual. Er brachte keinen Laut heraus. In der Tasche seines Jacketts steckte noch der letzte Brief seines Sohnes, aus dessen Zeilen frohe Zuversicht, Lebensfreude und Hoffnung sprachen. Es kam ihm vor, als hätte sich die Tinte, mit der David diese Worte geschrieben hatte, in Blut verwandelt.
Der junge Jesuit wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Schließlich fasste er Arnaud am Arm und schob ihn dem Ausgang entgegen. Nach einer Weile begann dieser, sich von seinem ersten Schock zu erholen.
»Lebt er?«, erkundigte er sich mit schwacher Stimme.
»Ja, aber sein Zustand ist äußerst ernst«, sagte sein Vater.
»Alles wird gut«, sagte Aguirre. »Wir werden darum beten…«
»Gott war noch nie zur Stelle, wenn wir ihn gebraucht haben«, gab ihm Arnaud kaum hörbar zur Antwort. »Er hat meinen Sohn und mich schon vor langer Zeit im Stich gelassen.«
Dann sah er seinen Vater mit geröteten Augen an und fragte ihn: »Was ist passiert?«
19
Jerusalem, einige Wochen zuvor
»Du musst dich entscheiden, Hamsa.« Der Mann, der ihn mit seinen schwarzen Augen zu durchbohren schien, sagte das in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
Obwohl er ihm Angst machte, gab Hamsa trotzig zurück: »Die Leute haben uns nichts getan. Warum können wir nicht miteinander reden und uns einigen?«
»Die Zionisten haben erreicht, dass die ganze Welt sie unterstützt. Vor ein paar Jahren hieß es, sie wollten gemeinsam mit uns einen Staat gründen. Jetzt auf einmal wollen sie unser Land teilen. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Entweder sie oder wir!«, rief der Mann aus.
»Nun beruhige dich doch, Machmud. Mein Sohn ist noch jung und versteht die Zusammenhänge nicht richtig«, legte sich Hamsas Vater Raschid
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