Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Wirklichkeit entspricht. Allerdings war zu ihrem Unglück der letzte Großmeister des Ordens, Jacques de Molay, weder ein Ausbund an Intelligenz noch ein begnadeter Diplomat. Ich will nicht so weit gehen, ihm die Verantwortung dafür zuzuschieben, dass die Sache so und nicht anders ausgegangen ist, doch hat ihn die schwierige Situation, in der sich der Orden seinerzeit befand, mit Sicherheit überfordert.«
»Sie bestreiten also nicht, dass die Templer das Kreuz angespuckt haben«, schloss Raymond befriedigt.
»Doch, und zwar mit allem Nachdruck. All die skurrilen Geschichten über den Fund des Grals und geheimes Wissen, mit dem man der Kirche Schaden zufügen könnte, sind erfunden.
Auf keinen Fall dürfen wir gesichertes geschichtliches Wissen mit Dingen verwechseln, die sich jemand aus den Fingern gesogen hat!«
»Es scheint, als führten Sie einen privaten Feldzug gegen Romanautoren«, bemerkte Aguirre.
»Ein historischer Roman kann durchaus unterhaltsam sein. Das aber bedeutet nicht, dass er die Wirklichkeit widerspiegelt.«
Nach dem Ende der Mahlzeit erbot sich Raymond, die Besucher durch Carcassonne zu führen.
Verblüfft stellte Arnaud fest, mit welchem Geschick es dem Jesuiten gelang, das Vertrauen des jungen Mannes zu gewinnen, der sich seit Jahren zusammen mit seinem Vater auf dem Gebiet der historischen Spekulation bewegte. Aguirre zeigte sich von Carcassonne begeistert, und Arnaud merkte, dass das ehrlich gemeint war.
Am Abend schützte Arnaud starke Kopfschmerzen und Müdigkeit vor, um nicht zum Essen nach unten gehen zu müssen. Das hatte er mit Aguirre verabredet, damit dieser bei dem jungen Grafen freie Bahn hatte.
Leider ergab sich so recht keine Gelegenheit, etwas zu erfahren, denn weder Raymond noch die anderen Gäste gaben während des Essens etwas Bemerkenswertes von sich. Da sie auch den angeblichen Fund des Grals nicht ansprachen, wagte Aguirre nicht, das Thema von sich aus anzuschneiden.
Am nächsten Morgen standen sie schon bei Tagesanbruch auf, um möglichst früh nach Montségur zu fahren. Dort ließ sich Raymond vom Zauber der Umgebung mitreißen und gestand Aguirre in einem Augenblick, in dem sich Arnaud mit voller Absicht beiseitehielt, wonach sie suchten.
»Professor Arnaud ist ein Zweifler, und deshalb fehlt seiner Arbeit über Bruder Julián jede Leidenschaft, auch wenn alle sagen, dass sie glänzend gelungen ist. Offen gestanden hatte sich mein Vater mehr davon erwartet.«
»Nämlich was?«
»Irgendeinen Hinweis auf den Schatz.«
»Aber woher sollte Bruder Julián wissen, wo der sich befunden hat?«
»Doña María hat ihm vertraut. Vergessen Sie nicht, dass sie zusammen mit den Vollkommenen , die den Schatz bei sich trugen, von Montségur heruntergekommen ist.«
»Richtig«, räumte Aguirre ein. »Und wonach graben Sie schon so lange ergebnislos?«
Der junge Graf beschloss, sich dem Besucher anzuvertrauen, mit dem er sich so gut verstand.
»In der Tat haben wir bisher nichts gefunden, das man als den Gral ansehen könnte. Manche Wissenschaftler erklären, dass es sich dabei um einen irgendwo hier in der Gegend vom Himmel gefallenen Stein handelt, der grenzenlose Kräfte besitzt. Andere sind der Ansicht, dass ihn die Templer mit nach Schottland genommen und in Edinburgh vergraben haben. Und ein Professor, der hier war, vertritt eine ganz andere Theorie, nämlich die, dass der Gral möglicherweise gar kein Gegenstand ist.«
»Sondern was?«
»Ein Mensch.«
»Ein Mensch?«
»Glauben Sie, dass Jesus Junggeselle war?«
»Nun, ich meine, dass man uns beigebracht hat …«
»Es gibt sehr alte Dokumente, aus denen hervorgeht, dass er Maria Magdalena geheiratet und mit ihr Kinder hatte. Es
ist nicht auszuschließen … dass Jesu Nachkommen der Gral sind.«
Aguirre wusste nicht, ob er lachen oder sich empören sollte, entschied sich dann aber zu neutralem Verhalten, um den jungen Mann nicht gegen sich aufzubringen, der ihm im Großen und Ganzen nicht unsympathisch war. »Und auf welche Weise sollen die hierhergekommen sein?«
»Unter Umständen schon mit Maria Magdalena, möglicherweise aber auch erst mehrere hundert Jahre später. Es ist denkbar, dass die Tempelritter die bewussten Dokumente gefunden haben – in dem Fall wäre das die Lösung für das Geheimnis, das sie so eifersüchtig gehütet haben.«
»Professor Arnaud würde das als esoterische Hirngespinste und billige Pseudoliteratur abtun.«
»Bedauerlicherweise hat er nie Wert darauf gelegt, den
Weitere Kostenlose Bücher